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Am 23. September hatte die Europäische Versicherungsaufsicht EIOPA nach Frankfurt am Main zu einer öffentlichen Anhörung über die neue Vertriebsrichtlinie IDD eingeladen. Genau genommen ging es um Delegierte Rechtsakte, die als Verordnungen der EU-Kommission zu einigen Artikeln der Vertriebsrichtlinie zusätzlich erlassen werden sollen und zu denen EIOPA die Entwürfe vorgelegt hat. Hierbei wurde erneut deutlich, dass Verbände und Unternehmen der Versicherer mit ihrer Kritik an EIOPA weit über das Ziel hinausschossen.
Der erste der drei Themenschwerpunkte befasste sich mit den Produktaufsichts- und Lenkungsanforderungen („POG“ nach IDD Artikel 25), d.h. mit dem Gesamtkomplex der Produktentwicklung, der Produkttests vor und nach der Markteinführung, der Bestimmung von Zielmärkten sowie dem Informationsfluss zwischen Produktherstellern und Vertreibern. Aus Verbrauchersicht werden diese neuen Anforderungen durchweg begrüßt, denn eine explizite Nennung von Zielmärkten für neue Versicherungsprodukte gab es zumindest in Deutschland bisher nicht, geschweige eine Benennung von Kundengruppen, für die ein Produkt nicht geeignet ist.
Eine der Branchenkritiken an diesen sogenannten POG-Anforderungen zielte darauf ab, dass diese von Seiten der Aufsicht dazu benutzt werden könnten, um auf die interne Prämiengestaltung durch die Versicherer Einfluss zu nehmen. Obwohl die anwesenden EIOPA-Sprecher dies klar verneinten, wurde dieser Vorwurf mehrfach wiederholt. Dies erinnerte an den in Versicherungspublikationen schon mehrfach vorgebrachten und genauso unsinnigen Vorwurf, die POG-Anforderungen wären der erste Schritt zurück zu einer Wiedereinführung der Vorabgenehmigung neuer Tarife durch die Versicherungsaufsicht, wie sie bis Mitte der 1990er Jahre bestand.
Stattdessen verwies EIOPA auf die „abstrakte Ebene“, auf der die Bestimmung der Zielmärkte gehandhabt werden soll, sodass folglich nicht über jeden einzelnen Vertragsabschluss der Aufsicht berichtet werden soll. Stattdessen solle es sich dabei um eine „allgemeine Beobachtung“ und das Sammeln von „Erfahrungen“ mit unterschiedlichen Kundengruppen handeln. Dies war aus Verbrauchersicht schon wieder zu wenig verbindlich und zeigt deutlich, wie weit die Sichtweisen von Branche und Verbraucherschützern hier auseinander liegen.
Auch beim zweiten Themenkomplex, der Geeignetheitsbeurteilung („suitability and appropriateness assessment“) wurden die Differenzen deutlich. Zunächst zum Verständnis: die Geeignetheitsbeurteilung soll bei Versicherungsanlageprodukten, d.h. Lebens- und Rentenpolicen mit Sparanteil, durchgeführt werden, wobei „appropriateness assessment“ die Erfassung von Kenntnissen und Erfahrungen des Versicherungsnehmers mit dieser Produktkategorie und „suitability assessment“ die Erfassung der konkreten Finanzsituation des Versicherungsnehmers bedeutet. Die EIOPA-Sprecher erläuterten, dass das „appropriateness assessment“ durch den Vertrieb immer geleistet werden muss, während das „suitability assessment“ nur im Falle einer umfassenden Beratung („advice“) anfällt.
Dadurch wurde aufgezeigt, dass beim Verkauf einer Lebens- oder Rentenpolice zukünftig die Erfassung von Kenntnisstand und Erfahrungen mit Spar- und Wertpapierprodukten („appropriateness assessment“) durch den Vertrieb immer zusätzlich zur Bedarfsermittlung geleistet werden muss. Denn die Bedarfsermittlung („demands and needs test“ nach IDD Artikel 20-1) soll den eigentlichen Risikoschutz mittels Versicherungen erfassen. Dies wird auch für gebundene Vertreter gelten, die eine umfassende anbieter- und produktneutrale „Beratung“ per se nicht leisten können. Ein unabhängiger Makler oder Versicherungsberater müsste dagegen zusätzlich das „suitability assessment“ durchführen.
In der Diskussion durch die Branchenvertreter wurde wiederum deutlich, dass diese vor einer angeblichen Einschränkung der „Freiheit der Kunden“ durch die Geeignetheits¬beurteilungen warnten, und dass ein simpler Warnhinweis auf mögliche Verluste wie bei Wertpapiergeschäften ausreichen müsste. Das wurde von den EIOPA-Sprechern aber klar zurückgewiesen und im Gegenteil auf die notwendige Entwicklung von präzisen Kriterien für die beiden Teile der Geeignetheitsbeurteilung hingewiesen (als Teil der Konsultation).
Aus Verbrauchersicht war zusätzlich sehr interessant, dass die Sprecherin der französischen Versicherungsaufsicht darauf verwies, dass es in Frankreich sogar Empfehlungen der Aufsicht für die anzuwendenden Kriterien der Bedarfsermittlung gäbe. Da das aktuelle Mandat für EIOPA sich nur auf die Geeignetheitsbeurteilung beziehe, müssten hinsichtlich der Bedarfsermittlung die nationalen Aufsichtsbehörden für mehr Verbindlichkeit sorgen.
Der letzte Themenbereich befasste sich mit Interessenkonflikten und Vergütungssystemen, dieser wurde mit größter Spannung erwartet. Da EIOPA in seinem Entwurf einige Vergütungen („inducements“) aufgeführt hat, bei denen ein hohes Risiko einer schädlichen Auswirkung („detrimental impact“) auf die Kunden erwartet werden könne, kam natürlich massive Kritik von Seiten der Branche. Sie gipfelte in Vorwürfen der Erstellung einer „schwarzen Liste“ von negativen Formen der Vergütung und der Einführung eines Verbotes von Provisionen „durch die Hintertür“.
Auch hier bezogen die EIOPA-Sprecher deutlich Position, indem sie klarstellten, dass es nicht um Verbote, sondern um Marktbeobachtungen gehe, wie etwa den regelmäßig durchgeführten „Consumer Trends Report“. Als Verbraucherschützer hätte man sicher hier erneut mehr Verbindlichkeit gewünscht, denn im Gegensatz zum Wertpapierbereich unter MIFID2 gibt es für Versicherungen unter IDD eben kein Provisionsverbot bei unabhängiger Beratung, worauf immer wieder verwiesen wurde.
Auf der Veranstaltung wurde offensichtlich, wie sehr die Versicherungsbranche sich vor IDD fürchtet, obwohl die Richtlinie nur eine „Minimalharmonisierung“ zum Ziel hat. Die Branche interpretiert Absichten in die von EIOPA vorgelegten Delegierten Rechtsakte hinein, die einer realen Grundlage entbehren, wie oben dargestellt. Da von über 150 Teilnehmern an der Veranstaltung nur drei von Verbraucherschutzorganisationen kamen (BEUC, VZBV und BdV) und sich zu Wort meldeten, wurde deutlich, wie stark das Übergewicht zugunsten der Versicherungsbranche war. Aus Verbrauchersicht bleibt nur zu hoffen, dass dieses Übergewicht nicht dazu führt, dass die eigentlich nur aus Absichtserklärungen bestehenden Delegierten Rechtsakte zu IDD noch weiter aufgeweicht werden.