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BdV in Europa

Infrastrukturinvestitionen der Versicherer hinterfragt

Infrastrukturinvestitionen der Versicherer hinterfragt

 20.08.2015  BdV in Europa  0 Kommentare  Christian Gülich

Investitionen in die Infrastruktur (Verkehr, Energie, Telekommunikation, Gesundheitswesen usw.) sollen auf europäischer und nationaler Ebene auch mittels privatwirtschaftlicher Kapitalgeber gestärkt werden. Hierzu hat die EU-Kommission im Februar 2015 das Grünbuch zur Kapitalmarktunion veröffentlicht. Nur kurz danach legte im April 2015 eine Expertenkommission dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin weitreichende Vorschläge vor.

© PixelAnarchy / Pixabay

Damit auch Versicherer sich als eine der möglichen finanzstarken Investorengruppen hieran verstärkt beteiligen können, führte die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA im August 2015 eine Expertenkonsultation durch. 

Möglicher politischer Zielkonflikt

Grundsätzlich befürwortet der BdV alle Bemühungen, die überkommene Spar- und Austeritätspolitik in den EU-Mitgliedsstaaten zu überwinden und ein solides Wirtschaftswachstum auch durch gezielte Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen zu fördern. Aber besondere Aufmerksamkeit ist erforderlich, wenn Versicherer sich an diesen Infrastrukturinvestitionen beteiligen sollen. Versicherer benötigen Kapital, um Leistungsansprüche und Kostenerstattungen aus den verschiedenen Sparten erfüllen zu können. Besonders hohe Kapitalreserven sind notwendig, um die langfristigen Verbindlichkeiten von Lebens- und Rentenversicherungen zu gewährleisten. "82% der Kapitalanlagen der europäischen Versicherer werden dazu genutzt, um Verbindlichkeiten von Lebensversicherungen zu decken und die anderen 18% decken Nicht-Leben-Verbindlichkeiten" (Insurance Europe: European Insurance in Figures, Statistics No. 50, December 2014, p. 9 - eigene Übersetzung). Als Verbraucherschutzorganisation sieht der BdV deshalb deutlich die Gefahr, dass zwei wesentliche politische Zielsetzungen miteinander in Konflikt geraten können: Infrastrukturinvestitionen für Wirtschaftswachstum versus langfristige Kapitalanlagen für die Altersvorsorge.

Der BdV unterstützt deshalb die Vorschläge von EIOPA zur Definition und Messung von Risiken bei der Kapitalanlage in Infrastrukturvorhaben, insbesondere bezüglich ihrer Reichweite und qualitativer Kriterien. Wenn es Versicherern ermöglicht werden soll, ihre Investitionen in Infrastrukturprojekte zu verstärken, müssen die Bedingungen, unter denen dieses geschehen kann, eindeutig und unabhängig von tagesaktueller Dringlichkeit festgelegt werden. Zukünftige Infrastrukturinvestitionen der Lebensversicherer dürfen nicht die Altersvorsorge-Ersparnisse der europäischen Verbraucher gefährden, die als Rentner erheblich von den zusätzlichen Einkünften aus Lebens- und Rentenversicherungen abhängen. Überdies haben sie diese selbst durch ihre Beiträge finanziert.

Widersprüche bei den Versicherern

Die Debatte über die angemessene Bewertung von Infrastrukturinvestitionen der Versicherer sollte öffentlich geführt werden und nicht auf nur wenige Spezialisten begrenzt sein. Das ist umso mehr notwendig, da es offensichtlich geworden ist, dass hierzu sogar zwischen den Versicherern unterschiedliche Positionen bestehen. Im Juli 2015 kritisierte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) EIOPAs Vorschläge zur Lockerung der Eigenmittelanforderungen für Infrastrukturinvestitionen als nicht weitgehend genug (vgl. GDV-Pressemitteilung vom 7. Juli 2015). Nach EIOPA soll die dafür erforderliche Eigenmittelunterlegung 30-39% betragen, aus GDV-Sicht sollen 20-25% ausreichend sein. Gleichzeitig teilte aber der Vorstandschef eines mittelgroßen Versicherers mit, dass er Infrastruktur nicht für eine "risikofreie Anlage" halte und dass insbesondere die Verkehrsinfrastruktur beim Staat gut aufgehoben sei (u.a. wegen der sehr günstigen Kreditbedingungen; vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Juli 2015, S. 29: Versicherer finden Autobahnen interessant). Deutlich erkennbar ist hier demnach ein Interessenkonflikt zwischen den großen Versicherern einerseits sowie mittleren und kleineren andererseits.

Diese Schlussfolgerung wird durch Aussagen des Präsidenten der deutschen Finanzaufsicht BaFin, Felix Hufeld, gestützt, die er in einem Interview mit "Aktuar Aktuell", der Zeitschrift der Deutschen Aktuarvereinigung, machte. Deutlich betonte er, dass Investitionen in Infrastrukturprojekte "für Versicherer interessant" seien, dass diese "...jedoch nicht mit einer Aufweichung regulatorischer Standards einhergehen" dürfen (Aktuar Aktuell, Ausgabe 29, April 2015, S. 5; vgl. Rede zur Jahrespressekonferenz der BaFin am 12. Mai 2015. Deshalb weist der BdV jede Forderung nach einer möglichen Aufweichung von EIOPAs Vorschlägen, insbesondere zu den Eigenmittelanforderungen sowie den Stresstests, zurück.

Der Mangel an praktischen Erfahrungen vieler Versicherer (mit Ausnahme vielleicht einiger global agierender Konzerne) mit risikoreicheren "alternativen" Investitionen wird zusätzlich durch die Statistiken der Aufsichtsbehörde bewiesen. Nach der Anlageverordnung können Versicherer einen Anteil von bis zu 35% des gebundenen Vermögens in Kapitalanlagen investieren, die mit einem höheren Risiko behaftet sind. Aber die Summe der Anlagen, die der Risikokapitalquote von 35% unterliegen, liegt für alle Versicherer und Pensionskassen bei gerade einmal 11,8% (vgl. BaFin-Jahresbericht 2014, S. 181). Warum also sollten die Versicherer ihr risikoaverses Verhalten verändern, bloß weil sie jetzt noch zusätzlich in Infrastrukturprojekte investieren dürfen?

Die europäische Dimension

Insurance Europe, der europäische Verband der Versicherer und Rückversicherer, stellt in seinem neuen Jahresbericht zusätzlich fest: "Diese Anlagen stellen gegenwärtig einen relativ kleinen Teil des Kapitalanlagenbestandes der Versicherer dar - ein Bericht der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, schätzt Infrastrukturinvestitionen auf weniger als ein Prozent der gesamten Investitionen" (Insurance Europe: Annual Report 2014/2015, p. 7 - eigene Übersetzung). Offensichtlich ist dieser Mangel an Erfahrungen in besonderen Anlageklassen nicht auf deutsche Versicherer beschränkt, so dass jegliche Entscheidung über die regulatorischen Standards bezüglich Infrastrukturinvestitionen diese quantitativen Einschätzungen dringend berücksichtigen sollte. Nur eine wirklich vorausschauende und vorsichtige ("prudential") Regulierung wird geeignet sein, die beiden gleichermaßen notwendigen politischen Zielsetzungen miteinander zu vereinbaren: Infrastrukturinvestitionen für Wirtschaftswachstum sowie langfristige Kapitalanlagen für die Altersvorsorge.

 


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