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Versicherungsvermittler in Europa - offene Fragen an die Aufsicht

Versicherungsvermittler in Europa - offene Fragen an die Aufsicht

 21.02.2019  BdV in Europa  0 Kommentare  Christian Gülich

Im Dezember 2018 hat die Europäische Versicherungsaufsicht EIOPA ihren ersten Bericht zu den Versicherungsvermittlermärkten in Europa vorgelegt. Diese Bestandsaufnahme soll, wie EIOPA ausdrücklich betont, nur einen „Überblick“ geben und als Vergleichsmaßstab für den eigentlichen Bericht gelten, der gemäß EU-Vertriebsrichtlinie IDD im Februar 2020 veröffentlicht werden muss (vgl. Bericht, S. 9). Dieser Artikel möchte aber zeigen, dass die Relativierung der Bedeutung dieses Berichtes weniger darin liegt, dass er nur eine Vorstudie sein soll, sondern er – unverständlicherweise – grundsätzliche methodische und damit letztlich auch aufsichtsrechtliche Fragen aufwirft.

© OpenClipart-Vectors / Pixabay

"Es gibt Schlimmeres als den Tod. Wer schon einmal einen Abend mit einem Versicherunsgvertreter zugebracht hat, wird wissen, was ich meine."
(Woody Allen)

Wichtigste Ergebnisse

Gesamttrends
Wenig erstaunlich, die Gesamtzahl an registrierten Vermittlern nimmt für den EWR-Raum (EU-Staaten plus EFTA, d.h. aktuell Norwegen, Island und Lichtenstein, aber ohne die Schweiz) seit 2013 kontinuierlich ab: von ca. 1,216 Mill. auf 1,067 Mill., wovon allerdings über die Hälfte aus nur drei Staaten stammen: Deutschland, Tschechien und Italien (zusammen ca. 590.000 Ende 2017; vgl. Bericht, S. 15, Graphik 2). Innerhalb der verschiedenen Kategorien von Vermittlern (Vertreter, Bank¬angestellte o. a.) können sich nur die Makler diesem Abwärtstrend erfolgreich entgegenstemmen (leichte Zunahme von ca. 110.000 auf 119.00 in diesem Zeitraum; vgl. Bericht, S. 22).

Selbstredend gibt es deutliche, historisch gewachsene Unterschiede zwischen diesen Kategorien in den einzelnen EU-Staaten: während in 16 Staaten mehr als 50% der Vermittler Vertreter sind, so sind dies umgekehrt die Makler nur in vier Staaten (in Belgien, Irland, Island und Malta). In Deutschland soll es mehr Makler als Vertreter geben, was erstaunt und sich nur durch die angesprochenen methodischen Probleme erklären lässt, auf die am Ende nochmals eingegangen wird (vgl. Bericht, S. 22, Abb. 11). Die Gesamtzahl der registrierten Vermittler nimmt in über der Hälfte der Staaten mehr oder weniger stark ab, in den anderen nimmt sie sogar leicht zu oder stagniert (vgl. Bericht, S. 16, Graphik 3).

Bedauerlich ist, dass diese Zahlen nichts unmittelbar über die „Vermittlerdichte“ aussagen, also das Verhältnis von Vermittlern als natürliche Personen zur Gesamtbevölkerung. Nicht alle EU-Staaten unterscheiden bei der obligatorischen Vermittler-Registrierung zwischen Unternehmen und natürlichen Personen (vgl. Bericht, S. 18). Wird diese Unterscheidung nicht berücksichtigt, so haben einige mittelost- und südosteuropäische Staaten die höchste Vermittlerdichte, allen voran Tschechien, mit etwas Abstand folgen Luxemburg, Italien und Deutschland. Für einige Staaten wird allerdings das Verhältnis von registrierten Vermittlern zu 1.000 Verträgen angegeben: hier liegt Ungarn mit weitem Abstand vorne, gefolgt von Italien, der Slowakei und Rumänien, für Deutschland wird kein Wert angegeben (vgl. Bericht, Annex I, Graph Panel 1, S. 42).

Binnenmarkt
Über grenzüberschreitende Geschäftstätigkeiten von Vermittlern kann der Bericht – aufgrund ungenügender Daten – nur beschränkt Auskunft geben. Die Herstellung eines europäischen Binnenmarktes soll natürlich auch für Finanzdienstleister gelten – auf dem Wege der Freiheit entweder der Dienstleistung oder der Niederlassung. Dennoch konnten einige nationale Aufsichtsbehörden erstaunlicherweise keine Auskunft darüber erteilen, darunter auch die deutsche. Nach dieser nicht vollständigen Datenbasis haben ca. 13.800 Vermittler ihren nationalen Aufsichtsbehörden grenzüberschreitendes Geschäft gemeldet, über 90% von diesen – wenig überraschend – basierend auf der Dienstleistungsfreiheit. Bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Rumänien) geschieht das grenzüberschreitende Geschäft mit den jeweiligen Nachbarstaaten. Der Bericht betont, dass Versicherer durch die Solvency II-Regulierung verpflichtet sind, die Höhe des grenzüberschreitenden Geschäftes anzugeben, was für Vermittler aber nicht gilt (vgl. Bericht, S. 28-30 sowie Graphiken auf S. 43).

Digitalisierung
Unter der Überschrift „Andere aufstrebende Versicherungsvertriebskanäle“ werden verschiedene Bereiche der Digitalisierung zusammengefasst wie Online-Makler, Vergleichswebsites (auch reine „Preis-Aggregatoren“), Social Media-Plattformen oder Robo-Advisors. Wegen der unzureichenden Datenbasis werden auch hier nur allgemeine Trends an ausgewählten Einzelbeispielen dargestellt: in Dänemark werden von einigen Versicherern kleinere Kfz-Schäden (z. B. Bruch der Windschutzscheibe) automatisiert erfasst und ohne weitere Prüfung erstattet. In Norwegen streben Versicherer an, immer mehr Schadensersatzansprüche vollautomatisiert zu bearbeiten, so dass die Kostenerstattung innerhalb von einer Stunde erledigt sein soll (vgl. Bericht, S. 36). Letzteres wird hierzulande als „Dunkelverarbeitung“ bezeichnet, zu der der Chef der deutschen Versicherungsaufsicht, Frank Grund, sich allerdings kritisch äußerte, denn aus der Dunkelverarbeitung dürfe keine „Black Box“ entstehen.

Vergleichswebsites werden für bestimmte Sparten (wie Kfz) immer wichtiger, um überhaupt mit potentiellen Kundinnen und Kunden in Kontakt zu kommen. So wurden in Großbritannien im Jahr 2017 über 60% aller Kfz-Haftpflichtabschlüsse ausschließlich über eine solche Website getätigt. Für Deutschland erwähnt der Bericht dagegen die gerichtliche Auseinandersetzung zwischen dem Vermittlerverband BVK und der Vergleichswebsite Check24 über den Maklerstatus der letzteren (vgl. Bericht, S. 37).

Was Robo-Advisors anbetrifft, so stellt der Bericht lediglich fest, dass sicherlich ein Wachstum stattfindet, aber nicht sehr schnell und im Vergleich zum Gesamtmarkt „noch ziemlich eingeschränkt“. Exakte quantitative Einschätzungen seien noch nicht möglich (vgl. Bericht, S. 38).

Offene Fragen zum Bericht

Datenlücken
Was beim Durchsehen des Berichts unmittelbar auffällt, ist, dass – nach unserer Zählung – an mindestens 25 Stellen explizit darauf hingewiesen wird, es sei entweder „schwierig“ oder „nicht möglich“, irgendwelche weiterführende Aussagen zu machen (oder weil Daten „nicht verfügbar“ waren, ein „Mangel an Daten“ gegeben sei o. ä.). Das erstaunt, denn obwohl IDD nur einen aufsichtsrechtlichen Mindeststandard vorgibt, ist damit sehr wohl ein gemeinsamer EU-weiter Rechtsrahmen für die Vermittler-Registrierung und die Aufsicht über ihre Geschäftstätigkeiten vorhanden. So drängt sich die Frage auf: ist dieser Rechtsrahmen zu unverbindlich, d. h. gestattet er zu weitgehende nationale Ermessensspielräume(1), oder mangelt es an aufsichtsbehördlicher Konvergenz („supervisory convergence“), die von EIOPA selbst immer wieder eingefordert wird? Hierzu ein paar weitere Beispiele:

Vergütungen und Vertriebswege
Unter dem Kapitel „Vergütungsmodelle“ für Vermittler werden Provisions- und Honorarmodelle sowie - für das Direktgeschäft mit Angestellten - fixe und variable Vergütungen gegenübergestellt. Jedoch konnten nicht über IDD, sondern nur über die Solvency II-Berichtspflichten die Provisionsquoten für einzelne Sparten annäherungsweise errechnet werden („lines of business“, nicht einzelne Produkte; vgl. Bericht, S. 33/34). Hier muss schon offen gefragt werden, welches die Gründe für einen solchen Umweg sind (Gesetzeslücke oder unzureichende Aufsicht), wenn es doch erklärtes Ziel von IDD ist, Interessenkonflikte im Vertrieb durch Vergütungssysteme auszuschließen bzw. zumindest offenzulegen, um eine Kundenschädigung zu verhindern. In diesem Kontext nur auf die Offenlegungspflichten der Versicherer gegenüber den Kundinnen und Kunden zu verweisen, ist für eine Aufsicht eindeutig zu wenig (vgl. Bericht, S. 35).

In dem Bericht wird auch analysiert, welche Kategorie von Vermittlern für welche Produkte den wichtigsten Vertriebskanal darstellt. So wird Bankenvertrieb hauptsächlich mit Lebensversicherungen verknüpft, Vertreter dagegen eher mit Nicht-Lebensparten, Makler mit beiden Bereichen, was insgesamt nicht überrascht. Erneut sind die nationalen Unterschiede aber sehr groß: für Lebensversicherungen ist der Bankenvertrieb in Südeuropa dominant, so etwa in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal, währenddessen in Slowenien, Luxemburg und Deutschland weiterhin die Vertreter dominieren (vgl. Bericht, S. 26, Graphik 15). Makler haben eine besonders starke Stellung in Großbritannien und Belgien (sowohl in Leben- als auch in Nicht-Lebensparten). Im Nicht-Lebensbereich stellen Vertreter in Italien, Slowenien, Polen und Portugal den wichtigsten Vertriebsweg dar, während das Direktgeschäft in Finnland, Luxemburg und Ungarn hierfür besonders stark ist (vgl. Bericht, S. 27, Graphik 16).

Das präsentierte Zahlenmaterial veranschaulicht, warum der Bericht zu der Schlussfolgerung kommt, dass „verschiedene Vermittlerkategorien verschiedene Rollen beim Vertreiben von verschiedenen Versicherungsprodukten haben“ (vgl. Bericht, S. 25). So allgemein formuliert ist dieser Satz sicherlich richtig. Diese Unverbindlichkeit wird aber dann zum Problem, wenn es um die konkret nachgewiesene Verknüpfung von Vertriebskanal und Falschberatung bei bestimmten Produkten geht.

So wird im Bericht lediglich ausgesagt, dass bei Restschuldversicherungen der Bankenvertrieb „wahrscheinlich“ eine „bedeutsame Rolle“ spielt, weil ein solches Produkt „oft“ mit Immobilien- und Konsumentenkrediten verbunden ist (vgl. Bericht, S. 25). Dabei war es insbesondere in Großbritannien in den letzten Jahren dabei zu massiven Falschberatungen im Bankenvertrieb gekommen. Die Banken hatten deshalb Rückstellungen im zweistelligen Milliardenbereich für Schadensersatzzahlungen bilden müssen. Ein solcher Satz kann deshalb nur als Bagatellisierung der tatsächlichen Ereignisse angesehen werden, die durch andere Quellen umfassend dokumentiert worden sind. Auch die deutsche Versicherungsaufsicht hat explizit auf die hohen Provisionssätze bei Restschuldversicherungen im Bankenvertrieb hingewiesen (vgl. BaFin-Jahresbericht 2017, S. 37).

Und hierzulande?
Was speziell die Situation in Deutschland anbetrifft, so bestehen erhebliche Unklarheiten in dem vorlegten Bericht. Obwohl die Zahlen des DIHK-Vermittlerregisters korrekt widergegeben werden (Country-by-country Analysis, Annex IV, p. 30), kommt der Bericht dennoch zur Aussage, wie schon angedeutet, es gäbe hierzulande mehr Makler als Vertreter. Das ist nur dadurch erklärbar, dass die gebundenen Vertreter (Ende 2017 über 140.000) einfach herausgerechnet werden, aber ohne dass dafür irgendeine stichhaltige Begründung gegeben wird (vgl. Bericht, S. 14, Box 1).

Der einzige Unterschied besteht darin, dass gebundene Vertreter überwiegend über ihren jeweiligen Versicherer der „mittelbaren“ Aufsicht der BaFin unterstehen - im Gegensatz zu den anderen erlaubnispflichtigen Vermittlern (vor allem Makler und Mehrfachagenten), die unter der Aufsicht der IHKs, Gewerbeämter o. a. je nach Bundesland stehen.(2) Auch hierzu ist der Bericht allerdings unklar, denn er behauptet pauschal, die gebundenen Vertreter unterstünden der Aufsicht durch die BaFin (vgl. Bericht, Annex IV (Germany), S. 30).

Weiterer Erläuterung bedarf auch der Zusatz, dass „… in DE, the number of brokers includes tied agents representing brokers that also must be registered as brokers themselves“ (vgl. Bericht, S. 22). Erst auf explizite Nachfrage hin verdeutlichte EIOPA, dass hierunter große Vertriebsorganisationen fallen können, deren einzelne Handelsvertreter natürlich an diese „gebunden“ sind, sich aber selbst ebenfalls als Makler registrieren müssten. Konkrete Zahlen über die Größenordnung insgesamt konnte EIOPA hierzu allerdings nicht nennen.

Wie dem auch sei: alle diese aufsichtsrechtlichen Unterscheidungen sind zwar formal korrekt, wirken aber willkürlich, um nicht zu sagen irreführend. Sie haben insbesondere keine Auswirkungen auf die Wohlverhaltenspflichten aller Kategorien von Vermittlern gegenüber den Kundinnen und Kunden gemäß IDD, was aus Verbrauchersicht das Wichtigste ist. IDD unterscheidet diesbezüglich nicht nach dem Status eines Vermittlers, sondern nur, ob der Vermittler den Kundinnen und Kunden eine Beratung anbietet oder nicht bzw. nach dem Umfang dieser Beratung.

Weiter muss kritisiert werden, dass in dem Bericht behauptet wird, dass es „keine vollständigen Daten“ darüber gäbe, welche Vertriebswege für welche Versicherungssparten hierzulande vorrangig genutzt werden. Dem muss entgegengehalten werden, dass es Zahlen zumindest für das Neugeschäft durch den Branchenverband gibt.(3)

Wie schon dargestellt, fehlen außerdem ausschließlich für Deutschland jegliche Zahlenangaben für das grenzüberschreitende Vermittlergeschäft (vgl. Tabellen auf S. 43). Dabei ist der hiesige Versicherungsmarkt hinter Großbritannien und Frankreich mit deutlichem Abstand der drittgrößte in der EU bzw. dem EWR.(4) Unklar bleibt, ob für diese mangelhafte Berichterstattung die nationale oder die europäische Aufsicht die Verantwortung trägt?

Fazit

So sehr zu begrüßen ist, dass die europäische Aufsicht einen ersten Bericht mit empirischen Datenmaterial über die Entwicklung der Vermittlermärkte in der EU vorlegt, so muss – leider – doch auf dessen Mängel deutlich hingewiesen werden. Diese liegen sowohl im Datenmaterial selbst als auch in der Interpretation desselben. Zumindest was die Zahlen anbetrifft, so ist sich die Aufsicht dessen auch bewusst und gelobt Verbesserung (vgl. Bericht „Conclusions and Next Steps“, S. 39-41). Der Bericht ist ein hervorstechendes Beispiel dafür, dass die oft betonte aufsichtsbehördliche Konvergenz („supervisory convergence“) keinen Selbstzweck darstellt, sondern im Gegenteil zwingend notwendig ist. Wie sonst soll belegbar festgestellt werden, ob in den einzelnen Staaten wie EU-weit die verbindlichen Standards im Vertrieb zum Schutz der Verbraucher auch eingehalten werden?

Endnoten:
(1) Auf Nachfrage verdeutlichte EIOPA, dass es den EU-Mitgliedsstaaten sogar erlaubt sei, mehrere Vermittlerregister nebeneinander zu führen. Außerdem seien die Legaldefinitionen in IDD (Artikel 2) aktivitäts- und nicht kategorienbezogen, was die unterschiedlichen Begrifflichkeiten und Zuordnungen in den EU-Mitgliedsstaaten erkläre.
(2) vgl. etwa BaFin-Jahrbuch 2006, S. 81.
(3) vgl. GDV-Broschüre „Fakten im Überblick 2018“, Tabelle: Vertriebswege von Versicherungen. Anteil am Neugeschäft in Prozent, S.19.
(4) vgl. GDV – Statistisches Taschenbuch 2018, Tabelle 125, sowie Insurance Europe, Key Facts, October 2018, p. 40/41.

 


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