Menu
BdV in Europa

Was bewegt die Versicherungsnehmer in der EU?

Was bewegt die Versicherungsnehmer in der EU?

 06.02.2017  BdV in Europa  0 Kommentare  Christian Gülich

Im Dezember 2016 hat die Europäische Versicherungsaufsicht EIOPA mit Sitz in Frankfurt am Main ihren mittlerweile fünften Bericht über „Verbrauchertrends“ („Consumer Trends Report“) in der EU veröffentlicht. 

© Gerd Altmann / Pixabay

Besonders interessant ist dabei für jeden, der über den eigenen nationalen Tellerrand hinausschauen möchte, mit welchen ähnlichen oder gar gleichen Entwicklungen die Versicherungsnehmer in den verschiedenen EU-Staaten konfrontiert werden und wie sie damit umgehen.

Für drei spartenübergreifende Bereiche (Leben: klassisch, hybrid, ohne Garantien sowie Risiko-LV und Berufsunfähigkeit; Nicht-Leben: Sach-, Unfall- und Krankenversicherung; Altersvorsorge: betrieblich und privat) werden jeweils diese drei Fragestellungen aufbereitet: Prämieneinnahmen, Verbraucherbeschwerden und produktbezogene Trends.

Die empirische Grundlage für diesen, wie auch die früheren Berichte (seit 2012 jährlich veröffentlicht), ist die Sammlung quantitativer und qualitativer Daten durch EIOPA mittels Umfragen und Vorort-Besuchen bei den verschiedenen nationalen Aufsichtsbehörden, mittels Auskünften von Experten („Stakeholders“) innerhalb und außerhalb von EIOPA (darunter Ombudsleute und außergerichtliche Schlichter) sowie mittels sonstiger Forschungspublikationen und einschlägiger Medienberichte. Auf diese Weise sollen die Berichte auf eine möglichst umfangreiche Bandbreite von unterschiedlichen Quellen gestellt werden, was als glaubwürdig erscheint.

Bereich Leben

Im Bereich Leben lässt sich als europaweiter Trend klar die Zunahme in Angebot und Verkauf von kapitalmarktnahen Produkten feststellen, wodurch der einzelne Versicherungsnehmer zwar mehr Auswahl hinsichtlich der Anlageoptionen des Sparanteils bekommt, dieser gleichzeitig aber auch den Schwankungen der Kapitalmärkte viel direkter ausgesetzt wird. Hinzukommen die zunehmenden Probleme der Verständlichkeit komplexer Produkte und der Intransparenz von Kosten und Gebühren für die Versicherungsnehmer.

Bereich Nicht-Leben

Im Bereich Nicht-Leben ist – wenig verwunderlich – die zunehmende Bedeutung von Internetvertrieben und Big Data der umfassende, überall feststellbare Trend. Auch hier liegen positive und schwierige Aspekte aus Verbrauchersicht eng beieinander. Dank der Online-Informationen der Produktanbieter und von Vergleichswebsites war es für Verbraucher noch nie so einfach wie heute, sich selbst vor einem Vertragsabschluss eine Angebotsübersicht zu verschaffen (trotz aller notwendigen Relativierung über die Objektivität mancher Websites). Gleichzeitig ermöglichen digitale Produktinnovationen (etwa Kfz-Telematik, Gesundheitsarmbänder oder vernetzte Wohnungen und Häuser) den Versicherern eine zunehmend „individualisierte“ Prämienkalkulation in einigen Sparten - allerdings um den Preis, dass das Verbraucherverhalten immer „gläserner“ wird und sogar der kollektive Risikoausgleich als Kerngedanke von Versicherungen infrage gestellt werden kann. Davor warnen einige Versicherer mittlerweile schon selbst.

Bereich betriebliche Altersvorsorge

Im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge besteht bei den Neuabschlüssen ein europaweiter Trend von Leistungszusagen („defined benefits“) hin zu ausschließlichen Beitragszusagen („defined contributions“). Bei letzteren gibt der Arbeitgeber eine Beitragsgarantie während der Einzahlphase, aber nicht mehr für die Bezugsphase. Die Höhe der Auszahlungen hängt damit mehr oder weniger vollständig vom Erfolg der Anlagestrategie der Trägers der betrieblichen Altersvorsorge ab. Mit anderen Worten: es ist eine parallele Entwicklung zum Bereich Leben, auch wenn in der betrieblichen Altersvorsorge rein quantitativ die traditionellen Leistungszusagen derzeit noch überwiegen.

Nun zu einigen Beispielen von Verbraucherbeschwerden in den anderen EU-Staaten:

  • In Italien musste die Aufsichtsbehörde eingreifen, da einige Versicherer im Todesfall von den Hinterbliebenen so viele verschiedene Dokumente als Nachweis für den Eintritt des Versicherungsfalles verlangten, dass es zu einer erheblichen Verzögerung der Auszahlung der Versicherungssumme kam (Report 2016: S. 13).
  • In Frankreich gab es eine sehr hohe Anzahl von Lebensversicherungsverträgen, bei denen die Hinterbliebenen nicht die ihnen zustehende Versicherungssumme bei Todesfall der versicherten Person geltend gemacht hatten. 2015 wurde deshalb ein Gesetz verabschiedet, welches die Versicherer verpflichtet, von sich aus aktiv an die Hinterbliebenen heranzutreten. Seitdem wurde ein Drittel der bisher nicht geltend gemachten Versicherungssummen von insgesamt etwa fünf Mrd. Euro ausgezahlt (Report 2016: S. 13).
  • In Belgien monierte die Aufsichtsbehörde, dass in Produktinformationsmaterialien u. a. zu häufig doppelte Verneinungen verwendet wurden, so dass die Verständlichkeit des Textes für die Verbraucher nicht mehr gegeben war (Report 2015: S. 20).
  • In Polen wurde eine neue Krebsversicherung intensiv beworben, ohne darauf hinzuweisen, dass die häufigsten Krebserkrankungen von der Deckung ausgenommen waren. Geleistet werden sollte auch nur bei eindeutiger Diagnose der Erkrankung, nicht etwa für Vorsorgemaßnahmen (Report 2015: S. 21).
  • In Rumänien gab es eine unverhältnismäßig hohe Anzahl von verzögerten Schadensregulierungen durch einige Kfz-Versicherer, die die Auszahlung der anerkannten Leistungen deutlich über die vertraglich oder gar gesetzlich festgelegten Fristen hinauszögerten (Report 2015: S. 22).
  • In Italien startete die Aufsichtsbehörde eine Informationskampagne unter dem Motto: „Du bist versichert, und vielleicht hast Du es noch nicht realisiert“. Auslöser hierfür war ein großangelegter Verkauf von gebündelten Policen (Versicherungspakete) durch Annexvertriebe ohne Bedarfsermittlung (öffentliche Verkehrs-, Strom- oder Wasserbetriebe, Kreditgeber, bzw. Verkäufer von bestimmten Konsumgütern). Die Folge waren sehr häufige Doppelversicherungen wegen schon bestehender Verträge (Report 2015: S. 26).
  • Auch Restschuldversicherungen bereiteten weiterhin Probleme. Der Höhepunkt der Falschberatungswelle in Großbritannien ist mittlerweile wohl überwunden. Noch 2013 mussten britische Banken Rückstellungen für Schadensersatzforderungen in der Höhe insgesamt von 12 Mrd. (!) GBP bilden. Weiterhin aber wurden in Frankreich Restschuldversicherungen fast immer an die Kreditvergabe durch Banken gekoppelt, ohne darauf hinzuweisen, dass die Verbraucher ein Recht haben, die RSV auch bei einem anderen Anbieter zu kaufen. In Italien mussten Verbraucher von sich aus aktiv werden, dass ihnen bei vorzeitiger Tilgung des Kredits auch anteilsmäßig die Prämie für die Restschuldversicherung zurückbezahlt wurde - falls sie letzteres überhaupt wussten (Report 2016: S. 34).

Viele dieser Beschwerdebeispiele dürften auch deutschen Versicherungsnehmern bekannt sein. Deshalb ist die Organisation von Verbraucherinteressen auch auf europäischer Ebene so wichtig. Der EU-Binnenmarkt soll für den Versicherungsvertrieb weiter gestärkt werden (Stichwort: IDD!), schon jetzt arbeiten große Versicherer grenzübergreifend. EIOPAs „Consumer Trends Reports“ sind somit eine der wenigen zuverlässigen Informationsquellen, die es aus Verbrauchersicht überhaupt zu diesen Fragestellungen gibt.


Eigenen Kommentar abgeben
Name (Sie dürfen auch ein Pseudonym angeben)
E-Mail* (wird nicht veröffentlicht)
Ihr Kommentar*
 

Mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.

Mit Absenden eines Kommentars erklären Sie sich mit den rechtlichen Hinweisen und den Kommentarrichtlinien einverstanden.