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Eine begrüßenswerte Änderung im Vertrieb von kapitalbildenden Lebens- und Rentenversicherungen durch die EU-Richtlinie IDD droht durch intransparente Zusatzbestimmungen ausgehebelt zu werden. Die so genannte Geeignetheitsprüfung könnte bei vielen kapitalbildenden Lebens- und Rentenversicherungen doch nicht zur Anwendung kommen, was dem Ziel von gleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen Versicherungs- und Anlageprodukten krass entgegenstünde. Der BdV hatte hierauf bereits im April 2017 in seiner Stellungnahme an die Europäische Versicherungsaufsicht EIOPA deutlich hingewiesen. Weiterhin herrscht aber Unklarheit.
Nur bis auf wenige Ausnahmen sollen kapitalbildende Lebens- und Rentenversicherungen im Vertrieb mit anderen Anlageprodukten (insbesondere Investmentfonds) gleichgestellt werden. Grundlage hierfür soll die Geeignetheits- und Angemessenheitsprüfung sein, die aus dem Wertpapierbereich kommt und dort seit langem als Einschätzung von Risikobereitschaft und Anlageerfahrungen beim Kunden praktiziert wird (vgl. hierzu unseren Blogbeitrag vom Oktober 2016).
Bei der Geeignetheitsprüfung ("suitability assessment") sollen vorrangig die Risikobereitschaft sowie die Fähigkeit, Verluste zu tragen, eingeschätzt werden. Konkreter beinhaltet sie Fragen nach dem regelmäßigen Einkommen, vorhandenen Vermögenswerten, Grundbesitz und Zahlungsverpflichtungen. Es darf keine Empfehlung für ein bestimmtes Produkt ausgesprochen werden, wenn es nach den Informationen seitens des Kunden für diesen, als nicht geeignet erscheint. Gibt es ein vertraglich zugesichertes Recht, zwischen mehreren Investmentprodukten, z.B. Fondswechsel, so müssen eventuelle Kostenvorteile gegenüber dem Kunden genau dargestellt werden.
Bei der Angemessenheitsprüfung ("appriopriateness assessment") sollen Art, Volumen und Häufigkeit von bisherigen Transaktionen durch den Kunden sowie sein Wissensstand erfragt werden. Auf Ungenauigkeiten oder Unvollständigkeiten von Seiten des Kunden soll der Vermittler ausdrücklich hinweisen, bevor er eine Produktempfehlung ausspricht. Außerdem muss das Basisinformationsblatt einen Warnhinweis enthalten, nach dem der Kunde darauf hingewiesen wird, dass er ein Produkt kauft, „das nicht einfach ist und schwer zu verstehen sein kann.“ (vgl. BaFin-Journal, Mai 2017, S. 37).
Geeignetheitsprüfung und Warnhinweis bei kapitalbildenden Lebens- und Rentenversicherungen stellen eine bedeutende Erweiterung der Informationspflichten im Vertrieb vor einem Vertragsabschluss dar, da bei allen sonstigen Versicherungssparten eine einfache Bedarfsermittlung ausreicht (nach IDD Artikel 20(1)). Allerdings würden jene nur dann verwendet werden müssen, falls es sich um ein "komplexes" Versicherungsanlageprodukt handelt. Und hierin liegt die Krux.
Komplexität bemisst sich fälschlicherweise nicht daran, dass eine kapitalbildende Lebens- oder Rentenversicherung deshalb ein komplexes Produkt ist, weil ein langfristiger Ansparprozess mit einer Risikodeckung (Todesfallschutz, Langlebigkeit o.a.) in einem Produkt kombiniert werden. Diese Kombination ist lediglich das Kriterium dafür, als „gepacktes“ Versicherungsanlageprodukt (im EU-Jargon „PRIIP“ genannt) eingestuft zu werden, unabhängig davon wie transparent oder intransparent Gewinnbeteiligungen und Kosten dargestellt werden.
Für die Bestimmung der Kriterien, wann ein Versicherungsanlageprodukt als komplex einzustufen ist, liegen von EIOPA mittlerweile sowohl ein Technischer Standard (als Teil des „Technical Advice“ zu IDD) als auch ein Entwurf für weiterführende Leitlinien („Proposal for Guidelines“), beide vom letzten Februar, vor. Beide helfen allerdings kaum weiter.
Mit Ausnahme des Kriteriums der Beitragsgarantie sowohl bei Kündigung als auch bei regulärem Ablauf des Vertrages müssen die anderen als zu unpräzise zurückgewiesen werden (so etwa die mögliche einseitige Änderung der Auszahloption durch den Versicherer, unverhältnismäßig hohe Kostenbelastungen bei Vertragskündigung oder schwer verständliche Anlagerisiken). Warum diese Kriterien durch den BdV als nicht ausreichend angesehen werden müssen, kann im Detail in unserer Stellungnahme (insbesondere Kommentar zu Frage 6) vom April nachgelesen werden.
Mit der unpräzisen Unterscheidung von komplexen und nicht-komplexen Versicherungsanlageprodukten ist letztlich ein Schlupfloch geschaffen worden, dass nicht nur einige Ausnahmen, sondern im Gegenteil die große Mehrheit von kapitalbildenden Lebens- und Rentenversicherungen von der Geeignetheitsprüfung ausgenommen werden können. Damit kann das wesentliche Ziel der verschiedenen EU-Regulierungen zum Finanzvertrieb (vor allem IDD, MIFID 2 und PRIIPs) in Frage gestellt werden. Kapitalbildende Lebens- und Rentenversicherungen sollten gezielt im Vertrieb sonstigen Spar- und Anlageprodukten angenähert werden, da jene viel häufiger zum Zwecke der Geldanlage denn als Risikoschutz (Todesfallschutz oder Langlebigkeit) verkauft wurden. Die Geeignetheitsprüfung könnte als zusätzliche Informationspflicht seitens des Vertriebs gegenüber dem Kunden eine wesentliche Rolle dabei spielen, damit dieser – wie es heißt – eine „informierte Anlageentscheidung“ überhaupt treffen kann. Genau das wird quasi durch die Hintertür wieder in Frage gestellt…
Ich glaube, da haben Sie mich missverstanden. Selbstverständlich meine ich, dass bei konsequenter Anwendung der von EIOPA vorgeschlagenen Kriterien kaum eine der aktuellen Lebens- und Rentenversicherungen als nicht-komplex eingestuft werden könnte. Nur ist es leider so, dass diese Kriterien bisher nur Vorschläge und nicht rechtsverbindlich sind. Welche Kriterien letztlich rechtsverbindlich werden, bestimmt die EU-Kommission. Nach deren jetzt vorliegenden Entwurf soll u.a. als Kriterium ausreichen, dass es lediglich eine vertraglich garantierte Minimum-Ablaufleistung nach Abzug rechtmäßiger Kosten gibt. Das ist also eine deutliche Aufweichung des von EIOPA kommenden Vorschlags. Insofern bestätigt sich also die Befürchtung des Schlupfloches...