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Gastbeiträge

Analysen jenseits der Einzelfälle

Analysen jenseits der Einzelfälle

 04.09.2015  Gastbeiträge  0 Kommentare  Sandra Klug

Die Hamburger Verbraucherzentrale nimmt als Marktwächter Finanzen den Versicherungsmarkt unter die Lupe. Abteilungsleiterin Sandra Klug über die Chancen einer systematischen Marktbeobachtung aus Verbrauchersicht. 

© Cristian Prisecariu / Pixabay

Jährlich suchen viele Tausend Bundesbürger bei den Verbraucherzentralen Rat in Versicherungsfragen. Beratung ist die wichtigste Aufgabe einer jeden Verbraucherzentrale. Im Dialog mit dem Verbraucher erfahren wir, worüber er sich ärgert, was er nicht versteht und auf welche Verkaufstricks er hereingefallen ist. Dieses Wissen hilft uns nicht nur, den Einzelnen zu beraten. Aus vielen Gesprächen setzt sich ein Bild über die drängendsten Verbraucherprobleme in dem jeweiligen Marktsegment zusammen.

Bereits jetzt führt dieses Wissen dazu, dass Verbraucherzentralen in der Öffentlichkeit vor bestimmten Angeboten und Geschäftspraktiken warnen und Informationsveranstaltungen anbieten. Sie mahnen Anbieter ab, führen Musterprozesse und streiten bis zu den höchsten Gerichten für Verbraucherrechte. Was in Deutschland jedoch bislang fehlte, ist eine systematische Marktbeobachtung aus Verbrauchersicht. Denn die Bundesrepublik ist auch in puncto Verbraucherschutz ein föderales Land. Der Verbraucherzentrale Bundesverband kämpft zwar von Berlin aus auf politischer Ebene für einen stärkeren Verbraucherschutz. Doch den unmittelbaren Kontakt mit dem Verbraucher – den haben die Verbraucherzentralen in den einzelnen Bundesländern: 16 selbstständige Vereine mit eigener Geschichte, eigenen Schwerpunkten und Besonderheiten. Das gibt uns in den einzelnen Verbraucherzentralen organisatorisch und inhaltlich große Gestaltungsspielräume. Und das ist auch gut so.

Nah am Verbraucher

Dennoch ist es wichtig, dass wir unsere regional begrenzte Arbeit für den Verbraucherschutz um eine übergreifende Perspektive erweitern. Denn keine andere unabhängige Institution hat das Ohr so nah am Verbraucher wie wir. Tausende Ratsuchende schenken uns ihr Vertrauen, geben uns Einblick in ihre Unterlagen und schildern uns ihre Probleme. Die Erkenntnisse, die sich daraus ableiten lassen, sind zu wertvoll, um nur unsere Arbeit vor Ort zu prägen. Hier setzt das Konzept des Marktwächters an, der nun für die Bereiche Finanzen und digitale Welt seine Arbeit aufgenommen hat. Beratungsfälle werden bundesweit einheitlich erfasst, zusätzliche Fälle über Verbraucheraufrufe gesammelt und anschließend gezielt ausgewertet. Der Marktwächter folgt dem Motto „Erkennen – Informieren – Handeln“ und wird in den kommenden Jahren sein Augenmerk auf ganz unterschiedliche Geschäftsfelder innerhalb der verschiedenen Themenbereiche richten. Ergänzt wird dies durch ein Frühwarnnetzwerk, das problematische Entwicklungen in der Branche frühzeitig identifizieren und publik machen soll.

Impulse für politisches Handeln

Das Ziel ist klar: Der Marktwächter soll Probleme und Missstände in den genannten Bereichen systematisch aufdecken und Impulse für politisches Handeln geben. Verlässliches, umfangreiches Datenmaterial ist dafür die zentrale Grundlage. Denn nur so lassen sich systematische Fehlentwicklungen aufdecken. Vertreter aus den kritisierten Branchen können entsprechende Verbraucherprobleme dann nicht mehr so einfach als Einzelfälle darstellen und sie somit kleinreden. Darin liegt eine große Chance für den Verbraucherschutz.

Die Verbraucherzentrale Hamburg kümmert sich innerhalb des Marktwächters Finanzen um den Bereich Versicherungen, einem von bundesweit fünf Themenschwerpunkten im Finanzbereich. Jeder davon wird von einer Verbraucherzentrale betreut. Um Baufinanzierung kümmert sich Bremen, Hessen untersucht den Grauen Kapitalmarkt, Baden-Württemberg Geldanlage und Altersvorsorge, und Sachsen ist für den Bereich Bankdienstleistungen und Bankdienstleistungen und Konsumentenkredite zuständig.

Die Verbraucherzentrale Hamburg hat sich über Jahre hinweg eine Expertise in Versicherungsthemen erarbeitet. Unter anderem haben wir die Klauseln mehrerer Anbieter hinsichtlich zu geringer Rückkaufswerte von Lebens- und Rentenversicherungen mit Erfolg vor dem Bundesgerichtshof angegriffen. Es freut uns, dass wir unser Wissen nun innerhalb des Marktwächters einbringen können. In einer ersten Untersuchung überprüfen wir Standmitteilungen vor Lebens- und Rentenversicherungen in puncto Verständlichkeit und Transparenz. Zu diesem Zweck sammeln wir noch bis Ende November bundesweit entsprechende Unterlagen, sowohl in der Beratung als auch mithilfe eines Verbraucheraufrufs

Machtgefälle zwischen Anbieter und Kunde

Warum sind Versicherungen so ein wichtiges Thema für den Marktwächter? Der wichtigste Grund ist aus meiner Sicht dieser: In nur wenigen Wirtschaftsbereichen ist das Machtgefälle zwischen Anbieter und Kunde so groß wie in dieser Branche. Der Einzelne steht hier großen und gut vernetzten Konzernen gegenüber, die trotz aller fürsorglich erscheinenden Werbebotschaften nun einmal Wirtschaftsunternehmen sind. Kommerzielle Anbieter, deren wirtschaftlicher Erfolg davon abhängt, möglichst hohe Prämieneinnahmen bei möglichst geringen Auszahlungen zu erzielen. Dies kann vor allem dann zum Problem werden, wenn es um jene hohen Schadenssummen geht, die eine Versicherung aus Verbrauchersicht erst notwendig machen. Während der Versicherer jede Menge Zeit hat, den Schaden zu prüfen und sich gegebenenfalls von einer Instanz zur nächsten zu klagen, schwinden die Rücklagen und die Lebenszeit des Geschädigten.

Wie groß der Einfluss von Versicherungsgesellschaften auf unser Leben geworden ist, wird vor allem klar, wenn man sich verdeutlicht, dass sich der Staat aus zwei wesentlichen Bereichen der sozialen Fürsorge weitgehend zurückgezogen hat: Zum einen aus der Altersvorsorge, zum anderen aus der Absicherung bei Berufsunfähigkeit. Flankiert wird dies nun durch anhaltend niedrige Zinsen, die die Rendite von Kapitallebens- und privaten Rentenversicherungen immer weiter schmälern. Unterdessen bringt die Digitalisierung neue Geschäftsmodelle hervor: Einige Anbieter offerieren zeitlich befristete Ad-hoc-Versicherungen, die sich via Smartphone buchen lassen. Und Kfz-Versicherer wollen ab 2016 mit Telematik-Tarifen das Fahrverhalten ihrer Kunden ergründen. Unser Marktwächter-Team wird die Umbrüche in der Versicherungsbranche aufmerksam und kritisch begleiten. An Themen mangelt es uns nicht.


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