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Gastbeiträge

Das Dilemma der pflegenden Eltern

Das Dilemma der pflegenden Eltern

 05.05.2023  Gastbeiträge  0 Kommentare  Anja Hardekopf

Heute ist der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung – einer der Tage, der dazu ins Leben gerufen wurde, die Rechte von Menschen mit Behinderungen voranzubringen. Funktioniert aber leider nur so semioptimal.

© Wim Arys / Unsplash

Meine Erfahrung (und ich schildere hier nur meine persönliche Sicht der Dinge und keine BdV-Meinung) im Bereich der Inklusion ist nicht die Schlechteste. Ich sorge aber auch dafür, dass mein Sohn alles mitmacht, was er möchte oder was ich für ihn aussuche. Und ich scheue mich auch nicht davor, mich zu beschweren, falls ihm bei dem Vorhaben der Teilhabe Steine in den Weg gelegt werden.

Bei uns liegt das Problem größtenteils in der „Zusammenarbeit“ mit den Krankenkassen.

Durch diese sollen Menschen mit Behinderung mit sogenannten Hilfsmitteln unterstützt werden. Ihnen soll durch diese Hilfsmittel ermöglicht werden, mit anderen – in unserem Fall z. B. gleichaltrigen Kindern - mithalten und so am Leben so gut es geht teilhaben zu können.

Leider habe ich als Mutter eines schwerstbehinderten Sohnes mit Pflegegrad 5 in den vergangenen Monaten die Erfahrung gemacht, dass die Krankenkasse immer mehr dazu übergeht, erst einmal die Leistung zu verweigern. Sollen durch das Mürbemachen der betroffenen Eltern mit dieser Vorgehensweise Kosten eingespart werden für Leistungen, die unseren Kindern aber eigentlich gesetzlich zustehen? Die Eltern müssen offenbar Glück haben, einen Sachbearbeiter zu erwischen, der gerade einen guten Tag hat, damit eine Genehmigung erteilt oder die Ablehnung zumindest vernünftig erklärt wird. Traurig, aber wahr.

Warum schreibe ich das hier?

Ich arbeite seit über 20 Jahren beim Bund der Versicherten e. V. und bin mit Leib und Seele Verbraucherschützerin. Ich liebe es, unseren Mitgliedern am Telefon Frage und Antwort zu stehen und Ihnen helfen zu können. Es soll niemand mehr von seiner Versicherung übers Ohr gehauen werden und alle sollen an die Informationen kommen, die sie benötigen, um sich den Unternehmen entgegenstellen zu können. Leider kämpft der BdV nicht auch im Bereich der Sozialversicherungen. Er hat aber auch schon genug mit den Privaten zu tun ;-)

Vielleicht habe ich durch meine Arbeit gedacht: Wer Gutes tut, dem wird nichts Schlechtes widerfahren, wenn er selbst mal Probleme mit (hier) der Krankenkasse hat. Pustekuchen!

Meine Erfahrungen

Es gibt bestimmt Eltern, die das, was ich hier schildere, nicht teilen können. Diesen Eltern möchte ich von ganzem Herzen gratulieren. Ich gehörte selbst ungefähr 7 Jahre dazu. In den ersten Jahren haben wir sämtliche Hilfsmittel genehmigt bekommen, es gab auch mal eine Ablehnung, die dann aber durchaus für uns nachzuvollziehen war. Damit konnte ich leben, zumal ich auch immer genügend Ersparnisse hatte, meinem Sohn trotzdem alles zu ermöglichen, auch wenn die Krankenkasse sich nicht beteiligen wollte – wie z. B. bei einer Windelversorgung, die über das Standardmaß hinausgeht. In diesem Fall war es vor ca. 6 Jahren so, dass wir nach langen Diskussionen und Widersprüchen die Genehmigung erhielten, Windeln im Geschäft zu kaufen und die Rechnungen hierfür bei der Krankenkasse einzureichen.

Seit einigen Monaten ist es allerdings so, dass kategorisch alles erst einmal abgelehnt wird. Mein Sohn wird größer und die Ansprüche höher – manches Mal wohl zu hoch für einen Sachbearbeiter, der meint, unsere Lage besser beurteilen zu können als wir selbst.

So bekommen wir, wenn wir nach einer über den Standard hinausgehenden Windelversorgung fragen, Antworten wie „Ich habe damals für meinen Sohn Windeln bei Aldi gekauft, am Preis kann es also nicht liegen“ oder „Sie bekommen definitiv keine Premium-Windeln, wir bezahlen nur 49 Cent pro Stück!“ – Aussagen, die nichts mehr mit Wertschätzung oder Kundenbetreuung zu tun haben. Auch „Das Therapiedreirad ist kein Fitnessgerät“ ist eine Äußerung, die wir uns anhören müssen, wenn wir darum bitten, die Ablehnung auf unseren Widerspruch schriftlich bekommen zu können.

Was ich mir wünsche

Ich weiß, dass es Regelungen gibt, an die die Kassen sich halten müssen. Ich weiß, dass es Gesetze gibt, Hilfsmittelkataloge und Einzelfallentscheidungen. Das alles ist mir (leider) nicht mehr fremd. Und ich kann Widersprüche schreiben und ich habe eigentlich ein dickes Fell, was Papierkrieg angeht. Was ich aber schwer ertragen kann, ist die Opferrolle, in die wir Familien mit behinderten Kindern gedrängt werden. Dass wir Bittsteller sein müssen und es von der Formulierung der Begründung und der Laune der Sachbearbeiterin abhängt, wie über unsere Anträge entschieden wird.

Ich wünsche mir, dass sich die Menschen, die bei einer Krankenkasse Telefondienst machen müssen, einmal versuchen, in unsere Lage zu versetzen und sehen, was wir auch ohne den ganzen Bürokratieirrsinn schon leisten. Und dass wir HILFSMITTEL beantragen, weil sie uns bzw. unseren Kindern helfen sollen und nicht, weil wir uns daran bereichern oder uns damit schmücken wollen.

Wenn alle in Zukunft etwas sensibler mit den Themen umgehen würden und wir etwas mehr zu dem Recht kommen würden, das uns zusteht, wäre uns schon ein Stück geholfen. Auch den Eltern, die nicht in der Lage sind, Widersprüche zu schreiben und Rechtsstreits durchzustehen.

Allen, die privat versichert sind und diese Kämpfe kennen, empfehle ich eine BdV-Mitgliedschaft. Mit der PKV kennen wir uns aus!