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Gastbeiträge

Private Altersvorsorge auf der Intensivstation

Private Altersvorsorge auf der Intensivstation

 18.11.2020  Gastbeiträge  0 Kommentare  Holger Balodis

Wer hätte das gedacht? Ausgerechnet Bert Rürup, der frühere Chef des Sachverständigenrats, versenkt sein eigenes Konzept der privaten Vorsorge in Grund und Boden. Er, der seinerzeit Schröder und Riester bei der Installierung des Dreisäulenmodells beraten und zur Teilprivatisierung der Rente gedrängt hatte, erklärt genau dieses Modell in der bisherigen Form für gescheitert.

© iximus / Pixabay

Hohe Kosten und miese Renditen...

Dies tat er hochoffiziell als Chefökonom des Handelsblatts in seiner wöchentlichen Kolumne: Zu teuer und zu renditeschwach sei das, was die Finanzwirtschaft als zweite und dritte Säule der Altersvorsorge derzeit beisteuere. Und Hoffnung auf Besserung hat der frühere Vorzeigeökonom nicht. Wörtlich schreibt Rürup: „Die Versicherungswirtschaft hatte nun fast zwei Jahrzehnte Zeit, kostengünstige und renditestarke Produkte zur privaten Altersvorsorge zu entwickeln – und ist daran gescheitert.“ Und weiter: „Hohe Kosten und niedrige Renditen bei der kapitalgedeckten Ergänzungsvorsorge kann und sollte sich Deutschland nicht mehr leisten.“ Chapeau Professor Rürup! Die Analyse könnte nicht treffender sein. Wenn die ehemals nahezu lebensstandardsichernde gesetzliche Rente heruntergespart wurde und durch private Rentenprodukte ergänzt wurde, dann kann und darf es nicht sein, dass diese so kümmerliche Ergebnisse liefern. Fakt ist: Die Kosten sind so hoch und die Renditen so mies, dass kein Kunde nach Abzug von Steuern und Abgaben wirklich sicher sein kann, dass ihm mehr bleibt, als er zuvor eingezahlt hat. Der Grund ist bekannt:

... Geld, das den Menschen für die Altersvorsorge fehlt

Branchenweit werden Jahr für Jahr über 10 Milliarden Euro für Vertrieb und Verwaltung rausgehauen. Geld, das den Menschen für die Altersvorsorge bitterlich fehlt. Gutgeschrieben wird den Kunden immer weniger. Der Höchstrechnungszins liegt aktuell bei 0,9 Prozent und die Aufsichtsbehörde Bafin drängt die Unternehmen dazu, bei Neuverträgen möglichst noch weniger zuzusagen. Nach Abzug der Inflationsrate klingt das nach einem garantierten Minusgeschäft, zumal der Rechnungszins nur auf den Sparanteil gewährt wird, also auf das, was nach Abzug der Kosten vom Beitrag übrig bleibt. Und die Branchengrößen gehen nun sogar noch einen Schritt weiter: Die Allianz hat verkündet, dass sie ab 2021 bei Neuverträgen von privaten Renten und Lebensversicherungen keine 100-prozentige Beitragsgarantie mehr geben wird. Je nach gewählter Anlagestrategie sollen nur noch 60 bis 90 Prozent der zuvor eingezahlten Beiträge am Ende sicher zur Verfügung stehen. Das heißt im schlimmsten Fall: 40 Prozent der geleisteten Einzahlungen könnten futsch sein. Nachdem sich die Allianz aus der Deckung gewagt hat, zog mit Ergo eine weitere Branchengröße nach: Mittelfristig wolle man sich von der 100-prozentigen Beitragsgarantie verabschieden, erklärte Ergo-Chef Markus Rieß dem Handelsblatt. In der Praxis verkauft Ergo bereits heute solche Verträge so gut wie nicht mehr.
Auch die Riester-Renten, die zwar formal noch einen Beitragserhalt garantieren sollen, führen über die Verwendung von ungünstigen Sterbetafeln für sehr viele Sparer unterm Strich zu herben Verlusten. Die Private Vorsorge ist damit als verlässlicher Teil der Altersicherung gescheitert.

Betriebliche Altersvorsorge auf der Kippe

Auf der Kippe steht aber auch die verbliebene Säule der Alterssicherung, die Betriebsrente. Sie wird mittlerweile kaum noch von den Betrieben selbst, sondern ebenfalls von den Lebensversicherern abgewickelt. Die Folge: Auch hier hohe Kosten und miese Renditen. Immer mehr Betriebsrentner sind stinksauer, weil im Alter die ehedem versprochenen Zahlbeträge wie Schnee in der Sonne zusammengeschmolzen sind. Dazu werden Steuern und Krankenkassenbeiträge fällig, was vielen Versicherten vorher in dieser Deutlichkeit nicht gesagt wurde. Und es könnte alles noch schlimmer kommen: Bei 36 Pensionskassen hat die Aufsichtsbehörde ernsthafte Zweifel, ob sie ihre vertragliche Zusicherungen einhalten können. Das wäre der Super-Gau für die betriebliche Alterssicherung. Auch hier zieht der Branchengigant Allianz nun die Notbremse: Ab 2022 will die Allianz Pensionskasse keine neuen Verträge mehr annehmen. Ist das der Anfang vom Ende der von der Bundesregierung so hoch gelobten betrieblichen Alterssicherung? Implodiert damit auch die zweite Säule der deutschen Alterssicherung?
In der gegenwärtigen Form wäre das kein Verlust. Eine Betriebsrente, die überwiegend in Form der sogenannten Entgeltumwandlung vom Arbeitnehmer selbst bezahlt werden muss, hat ihren Namen nicht verdient. Und wenn die Ergebnisse am Ende womöglich auf eine Kapitalvernichtung hinauslaufen, sollte man die Gelder doch besser gleich in die erste Säule, die gesetzliche Rente stecken.

Volle Konzentration auf die gesetzliche Rente

Wann wird diese Erkenntnis endlich bei den handelnden Politikern ankommen? Olaf Scholz und Hubertus Heil, beide SPD, hatten unter Rot-Grün und der ersten GroKo schon wichtige Posten inne und waren an der Teilprivatisierung der Rente mit beteiligt. Sie sollten wie ihr sozialdemokratischer Parteigenosse Bert Rürup ihren fatalen Irrtum von damals eingestehen und eine Kehrtwende einleiten. Als Finanzminister (Scholz) und Arbeits- und Sozialminister (Heil) wäre es ihre Pflicht, die gescheiterte Riester-Rente und die Pseudo-Betriebsrenten in Form der Entgeltumwandlung zu beerdigen. Die volle Konzentration muss wie in Österreich der gesetzlichen Rente gelten. Dann können auch hierzulande deutlich höhere Renten für alle gezahlt werden. Nur eine gestärkte gesetzliche Rente kann den Versicherten eine sichere und ausreichende Alterssicherung gewährleisten. Wenn die Entscheider in der Politik dies endlich begreifen, käme es zwar spät, aber für künftige Rentner noch nicht zu spät.

 


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