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Gastbeiträge

Und es taugt doch als Vorbild: Österreich!

Und es taugt doch als Vorbild: Österreich!

 18.09.2017  Gastbeiträge  0 Kommentare  Holger Balodis

Für Unterstützer der gesetzlichen Rente gilt es als Rentenwunderland. Für Rentenkritiker und Privatisierungsfreunde ist es längst ein rotes Tuch: Österreich und sein Rentensystem. Doch wie liegen die Fakten?

© Christian Georg Sulzer / Pixabay

Der Disput begann mit einer Veröffentlichung der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung. Die verglich in ihrem WSI-Report Nr.1/2016 die Altersicherungssysteme von Deutschland und Österreich und titelte: „Vom Nachbarn lernen?“ Nach dem Studium der 40-seitigen Publikation konnte es darüber keinen Zweifel geben. Österreich gewährt deutlich höhere Renten. Deutschland hingegen hat sich in der Rente vom Prinzip der Lebensstandardsicherung verabschiedet. Stattdessen verweisen wir hierzulande die Menschen auf die private Vorsorge („Riester-Rente etc.), die teuer ist und - wie sich mittlerweile herausstellt - auch nicht funktioniert. Österreich hingegen hat bislang der Rentenprivatisierung widerstanden und setzt voll auf die gesetzliche Rente für alle. Es werden dafür mehr staatliche Mittel bereitgestellt, es werden alle Erwerbstätigen einbezogen (auch Beamte!) und es werden höhere Beiträge verlangt, von Arbeitnehmern, aber insbesondere von den Arbeitgebern. Das Ergebnis ist sensationell: In allen verglichenen Rentnergruppen bekommen Österreicher mehrere Hundert Euro mehr, in manchen Bereichen ist es sogar das Doppelte von dem, was einem deutschen Rentner zusteht! Fazit der fünf Wissenschaftler im WSI-Report: „Aus deutscher Sicht ist die Ausgestaltung der österreichischen Rentenversicherung als Erwerbstätigenversicherung …geradezu revolutionär. Österreich zeigt, dass der Einbezug (der Beamten!) wirtschaftlich und rechtlich möglich ist und im Konsens umzusetzen ist.“

Gefährliches Rentenvorbild Österreich?

Doch der Gegenangriff ließ nicht lange auf sich warten. Die FAZ warnte: „Gefährliches Rentenvorbild Österreich“. Die Frankfurter Allgemeine kritisiert die hohen staatlichen Zuschüsse, die mangelnde private Vorsorge im Nachbarland und kramte einen österreichischen Forscher hervor, der das Österreich-Modell als nicht zukunftsfest kritisiert. Belege: keine.
Was seitdem passierte, kann man so zusammenfassen: Die Gewerkschaften nutzen die „revolutionären“ Erkenntnisse ihrer eigenen Forscher im Rahmen ihrer Rentenkampagne eher zurückhaltend. Vermutlich weil dann die eigenen Forderungen in einem kümmerlichen Lichte erscheinen würden. In den Medien wird gelegentlich über Österreichs Renten berichtet, meist in einem ungläubig staunenden Tonfall, so als handele es sich um eine Reportage über einen neu entdeckten Indianerstamm im Regenwald. Die einzige gesellschaftliche Gruppe, die sich das Rentenmodell der Alpenrepublik auf ihre Fahnen geschrieben hat, ist die Partei DIE LINKE. Und das macht das Modell Österreich wohl für viele erst so richtig suspekt. So entwickelte sich eine regelrechte Gegenbewegung, die sich offenbar zum Ziel gesetzt hat, das österreichische Rentenmodell schlecht zu reden oder doch zumindest klarzustellen, dass ein Vergleich mit Deutschland nicht zulässig und eine Übernahme dieses Modells geradezu widersinnig sei. Motto: Wehret den Anfängen.

Entscheidend ist was hinten rauskommt

Die Richtung gab im Sommer einer der Gestalter der deutschen Rentenreformen vor: Professor Bert Rürup. In einem Interview mit dem Mannheimer Morgen befand er: „Kein Vorbild für Deutschland“.
Der Miterfinder der Riester-Rente kritisierte an der Österreich-Rente: Zu hohe Rentenbeiträge, zu viel Bundeszuschüsse, im Alter lediglich Inflationsausgleich statt Ankopplung an die Löhne und vor allem: den Mangel an privater Vorsorge in Österreich.
Dem lässt sich entgegen: Entscheidend ist was hinten rauskommt. Die deutlich höheren Renten in Österreich – hier bekommen männliche Rentner im Schnitt derzeit brutto 2.202 Euro - sprechen für sich. Wenn die Menschen sich die Beiträge für private Vorsorge sparen können, empfinden das die meisten sicher als Vorteil. Unterm Strich zahlen Österreichs Arbeitnehmer nämlich deutlich weniger Beitrag als ihre deutschen Kollegen, die fleißig riestern und womöglich noch für die Betriebsrente Gehalt umwandeln. Und der Inflationsausgleich der Renten in Österreich ist beileibe kein Malus. Er sichert im Gegensatz zur Praxis in Deutschland immerhin eine stabile Kaufkraft der Renten. Die haben in Deutschland – mit Ausnahme der jüngsten kräftigen Steigerungen – über lange Jahre immer mehr an Wert verloren. Auch in Zukunft sollen sie um rund ein Drittel weniger schnell wachsen als die Löhne der Beschäftigten.

Es ist eine politische Entscheidung, wie man die Rentner versorgen will

Und dennoch werden die Vorteile des österreichischen Rentenmodells immer wieder dreist in Abrede gestellt. Besonders drastisch geschehen im „Wahl-Fünfkampf“ am 5. September durch die ARD Moderatorin Sonia Mikich. Die ließ auf eine Bemerkung der Linken Sahra Wagenknecht zu Österreich eine weitere Debatte erst gar nicht zu und stellte klar: Kein Vorbild für Deutschland, weil Österreich eine günstigere Demografie habe, weil dort die Renten voll besteuert würden und im Falle vorzeitiger Verrentung viel höhere Abschläge griffen. Wumm, Ende der Diskussion. Tatsächlich sprechen die Mikich-Argumente – wer immer ihr diese eingeflüstert hat – nicht gegen das Rentenvorbild Österreich. Die demografische Entwicklung Österreichs unterscheidet sich nur geringfügig von der deutschen. Bei den Geburtenraten liegt Österreich weltweit auf Platz 201, Deutschland auf Platz 213. Wenn es dort im Verhältnis zu den Alten mehr aktive Einzahler gibt, liegt das vor allem an der Einführung der Erwerbstätigenversicherung. Es zahlen eben mehr Junge ein, was auch für Deutschland wünschenswert wäre. Und besteuert werden die Renten auch in Deutschland. Prozentual (noch) etwas geringer als im Nachbarland, dafür gibt es dort einen höheren Steuerfreibetrag. Was allein zählt: Unterm Strich bekommen die österreichischen Rentner deutlich mehr als die deutschen. Und es gibt dort eine Mindestrente: Egal wie wenig oder viel man in Österreich verdient hat, es gibt auf den Monat umgerechnet mindestens 1.037 Euro. Hierzulande droht hingegen einem Großteil der Versicherten auch nach 40 Jahren Arbeit eine Rente unterhalb des Grundsicherungssatzes von derzeit durchschnittlich 800 Euro. Natürlich fällt auch in Österreich das Geld nicht vom Himmel. Es ist eine politische Entscheidung, wie man die Rentner versorgen will: Österreich gibt 14 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für Renten aus, Deutschland nur knapp 10 Prozent. Doch das könnte man ändern. Gerne zitieren wir die SPD-Landeschefin von Baden Württemberg, Leni Breymaier aus unserem jüngsten Buch „Die große Rentenlüge“: „Natürlich könnten wir uns das hierzulande genauso leisten. Das ist schlicht eine Frage der Prioritäten…Ich glaube, man kann die Deutschen auch an ihrem Stolz packen. Warum können das die Österreicher und wir nicht?“ Eine berechtigte Frage.


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