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Nein, bloß nicht schon wieder ein Buch mit dem effekthascherischen Begriff „Lüge“ im Titel! Davon gibt es wahrlich schon genug. Das dachten auch wir, als der Verlag uns „Die große Rentenlüge“ vorschlug. Doch bei Lichte betrachtet trifft der Titel ins Schwarze.
Seit über 15 Jahren erzählt uns die Politik: bessere Renten seien nicht finanzierbar, die Demografie stünde dagegen, die Jungen dürften nicht überfordert werden, mehr private Vorsorge könne helfen, bla-bla-bla. Genau das ist die Rentenlüge und auch wenn alle Fakten dagegen sprechen: Die Lüge hält sich beharrlich.
Doch wie sehen die Fakten aus: Rund 3 Millionen Rentner sind bereits heute arm, sie haben Anspruch auf Grundsicherungsleistungen. Dass ein Großteil dieser Menschen aus Scham die staatlichen Gelder nicht beantragt, macht es nicht besser. Frank Bsirske und seine ver.di rechnen vor, dass in Zukunft rund die Hälfte der heute Beschäftigten mit ihrer Rente in diesem Armutsbereich landen werden. Auch wir kommen in unseren Abschätzungen zu ähnlichen Größenordnungen. Wissen die Verantwortlichen von Union, SPD, FDP und Grünen eigentlich, was da auf uns zukommt? Welchen Sprengstoff sie durch ihre Rentenpläne an das Fundament dieser demokratischen Gesellschaft gelegt haben? Lediglich die LINKE zeigt sich als Mahnerin, doch ihre Forderungen werden von den Altparteien nicht wirklich ernst genommen. Diese Parteien zeigen sich (abgesehen von sehr wenigen kritischen Stimmen) beratungsresistent und halten noch immer die Fahne hoch, die Gerhard Schröder und Walter Riester einst gehisst haben. Parole: Das Rentenniveau muss sinken, damit die gesetzliche Rente bezahlbar bleiben kann und nur private Vorsorge kann und soll das ausgleichen.
Dabei kann jeder erkennen, dass weder Riester-Renten noch andere Formen der privaten Vorsorge berechenbar den Rentenkahlschlag kompensieren können. Statt dessen werden die Kunden in den Zeiten der Nullzinspolitik in riskante Anlagen getrieben, während das sichere Fundament der gesetzlichen Rente seelenruhig weiter zerstört wird. Ein Beispiel ist das Betriebsrentenstärkungsgesetz: Damit will die Bundesregierung möglichst vielen Arbeitnehmern zu einer Betriebsrente verhelfen. Dumm nur, dass sie diese Form der Betriebsrente weitgehend allein finanzieren müssen, dass am Ende noch nicht mal die eingezahlten Beiträge sicher wieder rauskommen und mit jedem zur Betriebsrente umgewandelten Euro später die gesetzliche Rente gekürzt wird. Ein absurder Vorgang, den viele Bundestagsabgeordnete offenbar noch nicht verstanden haben. Persönlich muss sie so etwas auch nicht interessieren. Sie sind exzellent abgesichert. Andrea Nahles hingegen kennt die Zusammenhänge. Bevor sie Ministerin wurde, hat sie nachdrücklich vor der Schwächung der Rente durch mehr private Vorsorge im Wege der Entgeltumwandlung gewarnt. Nun betreibt sie selbst die Rentenlüge mit aller Macht und hat die sogenannten Betriebsrenten zu ihrem Lieblingsprojekt gemacht. So etwas macht fassungslos.
Eine andere Facette der Rentenlüge betrifft den Beitragssatz. Seit 15 Jahren heißt es nahezu gleichlautend: Die für gute Renten erforderlichen Beitragssatzsteigerungen seien schlicht nicht zumutbar. Sie hätten geradezu eine erdrosselnde Wirkung für die Beitragszahler. Die Jungen würden überfordert. Um es kurz zu machen. Dabei handelt es sich um eine perfide Fake-News. Natürlich ist es so, dass höhere Renten auch höhere Beiträge erforderlich machen. Niemand kann zaubern. Doch die uns allen mit Riester-Rente und weiterer zusätzlicher Vorsorge angeratene Lösung ist noch viel, viel teurer. Zumindest für die Versicherten. Professor Winfried Schmähl hat das als Chef des Sozialbeirats der Bundesregierung bereits zur Jahrtausendwende prophezeit – und wurde daraufhin gefeuert. Und so sehen die Fakten heute aus: Arbeiter und Angestellte werden nach den Projektionen der Bundesregierung im Jahr 2030 rund 18 Prozent alleine zahlen müssen. Hätte man auf die Riester-Reformen verzichtet, wären es allenfalls 13 Prozent gewesen. Im Klartext: Durch die Niveauabsenkung der Rente verbunden mit deutlich mehr privater Vorsorge wird die junge Generation nicht etwa geschont, sondern geradezu ausgeplündert. Wenn das keine Rentenlüge ist!
Fast noch wichtiger als der Titel „Die große Rentenlüge“ ist uns jedoch der Untertitel: „Warum eine gute und bezahlbare Alterssicherung für alle möglich ist“. Wir nennen ein Bündel von Maßnahmen von der Einführung einer Erwerbstätigenversicherung über einen höheren Bundesanteil bis zur Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze. Und das Schöne daran: Dies sind keine Hirngespinste. Für alle Vorschläge gibt es praktische Vorbilder im europäischen Ausland. Besonders bemerkenswert ist das Beispiel Österreich. Seitdem die Hans-Böckler-Stiftung im Januar 2016 einen Vergleich der Rentensysteme veröffentlichte, kocht gelegentlich in Fachkreisen die Diskussion hoch und hinterlässt in der Regel ungläubiges Staunen. Die Durchschnittsrenten sind in der Alpenrepublik nahezu doppelt so hoch wie hierzulande. In Worten: fast DOPPELT SO HOCH! Die Erklärung: Die Ösis haben sich nach reiflicher Diskussion gegen ein Einfrieren der Beiträge entschieden, haben den Riester-Quatsch gar nicht erst angefangen und haben eine wirkliche Erwerbstätigenversicherung eingeführt. Nun fragt man sich, welchen Einfluss dies alles auf die politische Rentendebatte in Deutschland genommen hat: Keinen.
Das muss sich ändern. Deshalb mussten wir dieses Buch schreiben.
Hinweis der Redaktion: Das Buch "Die große Rentenlüge" von Holger Balodis und Dagmar Hühne ist im Westend Verlag erschienen, 208 Seiten, 18 Euro, ISBN-13: 978-3864891779.