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Kleinleins Klartext

Die Besserwisser – Juristen gegen Aktuare

Die Besserwisser – Juristen gegen Aktuare

 06.07.2016  Kleinleins Klartext  1 Kommentar  Axel Kleinlein

Ich bin ein Besserwisser. Gerne erkläre ich andern die Welt. Deshalb schreibe ich zum Beispiel auch gerne für diesen Blog. Eine kleine Entschuldigung: Die Besserwisserei gehört ein wenig zum Berufsprofil eines Mathematikers. Denn der lernt ja gerade im Studium nichts Geringeres, als Wahrheiten zu produzieren, Falsches zu brandmarken und Unentscheidbares zu erkennen. Das gibt dem Mathematiker stets ein gutes Gefühl, zu wissen, was richtig ist. Ein Besserwisser eben.



Unangenehm wird es, wenn der besserwissende Mathematiker dann auf einen besserwissenden Juristen trifft – von denen gibt es ja auch ein paar. Die Juristen bekommen auch eingeimpft, stets erkennen zu können, was richtig und was falsch ist. Das kollidiert mit den Überzeugungen des Mathematikers. Geht es dann auch noch um versicherungstechnische Fragen, ist der Konflikt zwischen den beiden Besserwissern vorprogrammiert.

Zillmerung - mathematisch oder juristisch?

Ein historisches Beispiel: Das sogenannte „ungezillmerte Deckungskapital“. Für den Aktuar ist das genau das Deckungskapital, das sich ergibt, wenn er in der Kalkulation auf die Zillmerung verzichtet, eben „ungezillmert“. Technisch heißt das dann, dass die ursprünglich auf den Vertragsbeginn über die Zillmerung als einmalig kalkulierten Abschlusskosten stattdessen auf den Beitragszahlungsverlauf verteilt werden. Eigentlich ganz einfach.

Für die Aktuare ist das auch keiner weiteren Diskussion mehr würdig. Wie das mit der Zillmerung funktioniert ist schließlich rein aktuarielles Wissen und für Juristen nicht nachvollziehbar. Die sollen sich auf die Expertise der Aktuare verlassen, wenn es darum geht dieses „ungezillmert“ zu deuten. Oder?

Weit gefehlt! Denn die Juristen haben auch eine eigene Vorstellung, was „ungezillmert“ bedeuten soll. Viele Rechtsgelehrten verstehen darunter eine Kalkulation, die gänzlich auf Abschlusskosten verzichtet. Der „Verzicht“ ist natürlich etwas anderes als die „Verteilung auf den Beitragszahlungszeitraum“. Oder anders ausgedrückt: Die Juristen verstehen unter „ungezillmert“ etwas anderes als die meisten Aktuare.

Und jetzt kommt die Besserwisserei ins Spiel: Die Versicherungsmathematiker erheben einerseits den Anspruch, die Gralshüter des Wissens um die Zillmerung zu sein. Die Juristen sehen andererseits in „ungezillmert“ einen juristischen Begriff, der eben von Juristen zu definieren sei. Beide sind mit Inbrunst von ihrer eigenen Sache überzeugt.

Der Gewinner: der Jurist

Unversöhnlich stehen sich Aktuare und Juristen gegenüber. Kinder lösen solche Konflikte durch einfache Wettbewerbe wie Kirschkernweitspucken oder Wettrennen. In der Welt der Erwachsenen gewinnt aber letztlich immer: Der Jurist. Das liegt nicht daran, dass der Jurist klüger, schlauer, schöner oder besser ist als sein Counterpart. Das liegt daran, dass der Jurist mit gezinkten Karten spielt. Denn gestritten wird am Schluss immer vor Gericht und vor Gericht gelten nun mal die Regeln der Juristerei. qed

Warum ich darüber lamentiere? Als Bund der Versicherten streiten wir viel vor Gericht. Und nicht selten geht es dabei auch um aktuarielle Aspekte. Da kostet es zuweilen Nerven, wenn sich der Aktuar in mir dem Besserwissen des eigenen Anwalts unterwerfen muss. Schön ist es aber dann, wenn wir gewinnen. Dann hat der Aktuar in einem selbst zu schweigen und dem erfolgreichen Juristen zu applaudieren. Aber am Ende ist es schließlich gut für die Versicherten, und darum geht es – und nicht darum, es besser zu wissen.


Kommentare
Kommentar von Joachim Bluhm  am  07.07.2016 10:45
Gerade in einem Markt, der vom Wettbewerb geprägt sein sollte, entspricht es der Üblichkeit, dass die Werbungskosten einzupreisen sind. Da dies den Preis erhöht, gibt es in einem funktionierenden Wettbewerb ein natürliches Interesse, die Werbungskosten gering zu halten. Das Problem ist nun, dass dieser Mechanismus nach den Vorstellungen der Versicherer für sie nicht gelten soll und dass die Versicherer es mit Hilfe des Herrn Zillmer (der die Last des ihm posthum vom GDV umgehängten Verdienstkreuzes sicherlich gerne trägt) vermocht haben, Generationen von Versicherungsmathematikern (und über viele Jahre auch Generationen von Juristen) die Fehlvorstellung einzuimpfen, dass sie über ein Naturrecht verfügen, Abschlusskosten in beliebiger Höhe auf den jeweils erfolgreich umworbenen Kunden abwälzen zu dürfen. Wenn man diese Fehlvorstellung mal wegdenkt, lösen sich die Probleme, auch die des Besserwissers, von selbst.

Letzteres hat der Bundesgerichtshof am 09. Mai 2001 als Ergebnis einer Verbandsklage, die übrigens der Bund der Versicherten eingereicht hatte, geleistet: Er hat endlich klargestellt, dass es für die von der Versicherungswirtschaft gewünschte Abschlusskostenverrechnung einer vertraglichen Vereinbarung bedarf, weil das Gesetz dergleichen NICHT vorsieht. Nur scheiterten die damals üblichen Versicherungsbedingen, die eine Abschlusskostenverrechnung nach dem "Zillmerverfahren" vorsehen sollten, an ihrer kaum zu überbietenden Intransparenz, weshalb der Bundesgerichtshof sie für unwirksam erklärt hat.

Flugs meinten die Versicherer, die unwirksamen Regelungen mit Hilfe der von ihnen ausgewählten und (gut) bezahlen "Treuhänder" durch andere Regelungen gleichen Inhalts ersetzen zu dürfen, dies sogar in bereits bestehenden Verträgen. Dergleichen ist in einem Land, in dem "pacta sunt servanda" gilt, ein Unding.

Erneut wurde der Bund der Versicherten tätig und hat drei Fälle zum BGH gebracht mit dem Ziel, auch die von den Versicherern einseitig nachgeschobenen Ersatzregelungen für unwirksam erklären zu lassen. Hierüber hat der Bundesgerichtshof am 12. Oktober 2005 entschieden: Er hat festgestellt, dass die Versicherer zur einseitigen Ersetzung unwirksamer AGB durch andere AGB gleichen Inhalts nicht berechtigt waren. Das lag nahe; auch die Versicherer hätten es wissen können und müssen. Erstaunlicherweise hat der BGH die "Klauselersetzung" aber nicht mit Stumpf und Stiel (sowie Stil) verworfen, sondern zur Rettung der in Bedrängnis geratenden Versicherer eine "ergänzende Vertragsauslegung" verfügt, wonach die Versicherer zwar weiterhin ihre Abschlusskosten nach dem dort so beliebten "Zillmerverfahren" auf ihre Versicherungsnehmer abwälzen dürfen, dies aber nicht grenzenlos: Sie haben zu jeder Zeit sicherzustellen, dass die Versicherungsnehmer wenigstens eine "Mindestleistung" in Höhe der Hälfte des "ungezillmerten Deckungskapitals" bekommen.

Der Rest ist Logik, deren Anwendung doch gerade den Versicherungsmathematikern und Besserwissern leicht fallen sollte:

Wenn es an einer wirksamen Klausel, die zur Abschlusskostenverrechnung berechtigen könnte, FEHLT, dann darf eigentlich GAR KEINE Abschlusskostenverrechnung stattfinden, dies weder nach dem Zillmerverfahren noch sonstwie. Hieraus folgt: Wenn im Rahmen der erwähnten "ergänzenden Vertragsauslegung" zwar "gezillmert" werden darf, aber mindestens "die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals" auszuzahlen ist, dann ist dies ein - meines Erachtens zu weit gehendes - Entgegenkommen des Bundesgerichtshofs und nicht die Installation einer anderen Form der Abschlusskostenverrechnung, die trotz FEHLENDER wirksamer Vereinbarung an Stelle der Zillmerei betrieben werden darf.

Natürlich haben die Versicherer dies wieder anders gesehen und waren viele Besserwisser ungläubig. Es ging ja um viel Geld. Doch sind, diesmal auf Klage der Verbraucherzentrale (denn der BdV befand sich zu dieser Zeit, jedenfalls nach Außen hin, im Tiefschlaf) zunächst das OLG Köln (Urteil vom 05. Februar 2010, was dort bedeutet, dass etwas anderes nun wirklich nicht in Betracht kommt) und dann der Bundesgerichtshof (Urteil vom 26. Juni 2013) der aufgezeigten Logik gefolgt. Sie ist, ehrlich gesagt, zwingend.

Alles klar?

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