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Kleinleins Klartext

Die miesen Tricks der Versicherer bei den Sterbetafeln

Die miesen Tricks der Versicherer bei den Sterbetafeln

 03.07.2019  Kleinleins Klartext  4 Kommentare  Axel Kleinlein

Ja, es gibt dieses Zitat, dass man keiner Statistik trauen sollte, die man nicht selber gefälscht hat. Alleine schon deswegen muss man vorsichtig sein, wenn irgendjemand mit Statistiken argumentiert. Und es lohnt sich dann oft, noch einen genaueren Blick hinter die Zahlen zu werfen.

Klar, auch ich argumentiere zuweilen mit Statistiken. Und dann gibt es stets viele Mathematikerinnen und Mathematiker, die mir nachweisen wollen, dass ich mich verrechnen und unredlich argumentieren würde. Manchmal passiert mir das auch, aber glücklicherweise sehr, sehr selten. Und ich kann mir sicher sein, dass es bei den Versicherern, den Lobbyverbänden und vielen anderen so einige Aktuare gibt, die mir Fehler vorrechnen wollen.

Um welche Statistik es in dieser Woche gehen soll? Es geht mal wieder um Sterbetafeln. Vor ein paar Tagen haben wir beim Bund der Versicherten darauf aufmerksam gemacht, dass die privaten Rentenversicherungen aus mehreren Gründen nicht zu empfehlen sind. Ganz besonders geißeln wir in unserer Kritik an den Rentenprodukten die überzogenen Lebenserwartungen, die die Versicherer in ihren Kalkulationen unterstellen.

Und wieder mal der GDV ...

In einem Tweet hat dann Herr Dr. Schwark vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) auf eine Veröffentlichung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) verwiesen. So wollte er zeigen, dass die „echte“ Lebenserwartung tatsächlich doch ziemlich hoch sei und dass man leicht in Versuchung gerät, zu niedrige Lebenserwartungen anzunehmen.

Konkret stellen die Aktuare der DAV als Beispiel dar, wie die Überlebenswahrscheinlichkeiten für 100.000 Männer des Alters 65 im Jahr 1987 waren. Konkret geht es in dem Beispiel darum, zu schauen, wie viele dann 2007 noch am Leben waren. Nach der Darstellung der DAV wäre das Statistische Bundesamt damals nur von knapp 22.000 Überlebenden ausgegangen. Selbst die Versicherungswirtschaft hätte nur mit gut 26.000 kalkuliert. Tatsächlich wären es aber dann über 32.000 gewesen! So kommen die Aktuare zu dem Schluss: „Selbst die Versicherer haben nicht vorsichtig genug kalkuliert“.

Das klingt erst mal ziemlich beeindruckend. Und man könnte verleitet werden, tatsächlich zu sagen, dass man doch bitteschön mit deutlichen Sicherheitszuschlägen kalkulieren müsse. Wenn sich selbst das Statistische Bundesamt so dermaßen verschätzt!

Stimmt aber nicht.

Das Statistische Bundesamt hatte damals gar keine Berechnungen für irgendwelche Prognosen gemacht. Die von der DAV zitierte Zahl hat nichts mit einer Zukunftsmodellierung zu tun, sondern beschreibt nur die Situation Mitte der 80er, sonst nichts. Auf Nachfrage erklärte mir das Statistische Bundesamt auch, dass diese Sterbeannahmen niemals und keinesfalls für Prognosen gedacht waren.

DAV mit falschen Sterbetafeln

Da hat die DAV also eine falsche Sterbetafel herangezogen, um den Eindruck zu erwecken, das Statistische Bundesamt hätte vollkommen falsche Prognosen erstellt. Redlich ist das nicht.

Und wie steht es um die Tafel der Versicherer? Die war damals, 1987, tatsächlich ziemlich falsch. Sie wurde dann rasch durch eine andere Tafel ersetzt. Versicherte mussten deshalb zwischen 1994 und 2001 auf Überschüsse verzichten, um ihre Verträge auf die neue Tafel angepasst zu bekommen. Oder anders gesagt: Die Versicherer haben sich verkalkuliert und die Kundinnen und Kunden mussten deswegen 7 Jahre auf Überschüsse verzichten. Was wir lernen: Auch damals haben die Versicherer schon eigene Fehler auf die Kundinnen und Kunden abgewälzt. Das gleiche Spiel ging dann 2005 noch einmal los, als wieder eine neue Tafel kam. Und wieder müssen die Versicherten auf Überschüsse verzichten.

Und die spannende Frage ist nun: mit welchen Annahmen rechnen die Versicherer denn heute, nach den Umstellungen auf neue Sterbetafeln?

Einmal nachgerechnet

Deswegen habe ich mir die Arbeit gemacht und durchgerechnet, welche Überlebenswahrscheinlichkeit die Versicherer nach heutiger Sterbetafel denn den 100.000 im Jahr 1987 65-jährigen Männern unterstellen würde. Für den Zeitraum zwischen 1987 und 2007 ergibt sich nach der aktuellen Versicherersterbetafel nun eine Zahl von über 59.000 Überlebenden! Wir wissen aber mittlerweile, dass tatsächlich nur etwas mehr als 32.000 überlebten. Die Versicherer unterstellen also nach ihren aktuellen Prognosen, dass fast doppelt so viele Kunden überleben als es „in echt“ beobachtet wurde.

Anders ausgedrückt: Die Versicherer haben nach 1987 schnell erkannt, dass sie damals falsch kalkuliert haben. Und dann haben sie den Spieß umgedreht und unterstellen jetzt absurd hohe Überlebenswahrscheinlichkeiten. Und wenn die Versicherer davon ausgehen, dass in einem bestimmten Jahr etwa doppelt so viele Rentenversicherte noch am Leben wären als es dann tatsächlich der Fall ist, dann kürzen sie die auszuzahlenden Renten einfach auf die Hälfte und haben diese Kürzung auch noch statistisch begründet.

Der Fehler liegt in der falschen Statistik, in den unredlichen Sterbetafeln.

Was Verbraucherinnen und Verbraucher dagegen machen können? Ganz einfach: keinen Rentenvertrag bei einem Versicherer abschließen. Wer aber schon einen Vertrag hat, der hat wenig Möglichkeiten, gegen diese Sterbetafel-Abzocke vorzugehen. Denn die ist ganz legal – eben „legaler Betrug“.

 

Hintergrund: Die Veröffentlichung der DAV, hier aus Seite 4, https://aktuar.de/Dateien_extern/DAV/Pressemappen/20170126%20Langlebigkeit%20Loerper%20Berlin%20(002).pdf

 

 

PS: Wenn es erwünscht ist, dann kann ich gerne auch noch mal erklären, warum die Risikoüberschussbeteiligung kein adäquater Ausgleich für diese Fehlkalkulation ist.

PPS: Bei der Berechnung der Überlebenszahl nach neuer Sterbetafel habe ich aus dem Tafelwerk der DAV-2004 R die Sterbetafelausprägung als Altersverschiebungstafel für Männer herangezogen.

PPPS: Es ist anscheinend unklar, wo das Bonmot über die Selbst-gefälschten-Statistiken herkommt. Klar ist aber, dass weder Churchill noch Göbbels die eigentlichen Urheber waren.

http://falschzitate.blogspot.com/2017/09/ich-traue-keiner-statistik-die-ich.html

 


Kommentare
Kommentar von Axel Kleinlein  am  10.07.2019 13:56
Lieber Herr Schwark,

vielen Dank für den Kommentar, dem ich noch eine Antwort schuldig bin.

Erst einmal kann ich Ihnen etwas versichern,
nämlich dass ich Ihnen in der Tat auch weiterhin gewogen bin ;-)

Dass ich damit zeitlich hintendran bin, liegt daran, dass ich bei der Frage der Kohortensterbetafel der Destatis noch am Recherchieren bin. Leider finde ich diese Tafel nicht mehr bei Destatis auf der Page. Das macht das etwas schwieriger. Aber ich bleibe am Ball! Und wo Sie ganz klar recht haben: Es wäre falsch Sie persönlich hier anzugreifen, denn Sie stützen sich auf die Zahlen der Aktuarvereinigung und denen kann man im Großen und Ganzen sehr wohl vertrauen.

Es mag zwar sein, dass nicht so viele Verträge von der Kürzung der Überschussbeteiligung betroffen waren. Diejenigen mussten aber dann dennoch aufgrund der Nachreservierung auf Überschüsse verzichten. Und das ist besonders unschön, weil ja früher (in den 80ern und 90ern) gerne genau dann Rentenverträge verkauft wurden, wenn eine Kapitallebensversicherung wegen Vorerkrankungen nicht mehr möglich war.

Und bei der großen Frage, wie denn die Sterblichkeit im Kollektiv der Versicherten im Vergleich zu derjenigen in der Bevölkerung ausschaut, da haben wir leider keine gute Datenlage. Wir wissen schlicht nicht, ob zum Beispiel die Riester-Versicherten eine andere Sterbewahrscheinlichkeit haben als die Durchschnittsbevölkerung. Da kann man trefflich drüber streiten – und das tun wir ja auch zuweilen.

Ich freu mich auf die nächste Runde auf einem Podium, Ende August, wo wir uns über ein „Riester-Standard-Produkt“ austauschen wollen. Das wird sich wieder eine muntere Diskussion, zumal neben der Riester-Rente (von der Versicherungswirtschaft favorisiert) und dem Vorsorge-Konto (bei dem wir mitgearbeitet haben) auch die „Extra-Rente“ des vzbv (in der Veranstaltung vertreten durch Frau Mohn) diskutiert wird.

Bleiben Sie auch uns gewogen!

Beste Grüße

Axel Kleinlein
Kommentar von Axel Kleinlein  am  04.07.2019 18:04
Lieber Herr Wenzel,

erst einmal vorweg: Die Versicherer zu verteidigen ist nichts schlechtes, im Gegenteil bin ich selber ein großer Verfechter des Versicherungsgedankens und gerade deshalb bin ich mit Leidenschaft immer wieder in diesen Themen aktiv.

Die Zahl von etwa 32.000 habe ich der angeführten DAV-Publikation entnommen, die sich wiederum auf die tatsächlich beobachtete Sterblichkeit bezieht. Diese kann man wiederum den Zahlen des statistischen Bundesamtes entnehmen (den tatsächlichen Beobachtungen und nicht den Prognoserechnungen).

Selbstverständlich hat der Geburtsjahrgang 1922 (um den geht es ja) erhebliche Entbehrungen hinnehmen müssen, die sich dann in der Sterblichkeit niederschlagen. Genau das wird ja in den Sterbetafeln auch abgebildet. Deswegen unterstellen die Versicherer auch den jüngeren Jahrgängen noch deutlich höhere Lebenserwartungen. Z.B. gehen die Versicherer davon aus, dass von den 1990 geborenen Männern, die dann mal 65 geworden sind, knapp 90 Prozent dann auch das Alter 85 erreichen werden. Von den ursprünglich 100.000 Männern sind dann noch knapp 90.000 am Leben. Dem Geburtsjahrgang 1922 wird also mit „nur“ 59.000 eine deutlich höhere Sterblichkeit unterstellt.

Der Effekt, dass jüngere Jahrgänge, die keine derartigen entbehrungsreichen Zeiten durchleben mussten, eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit haben, geht also sehr stark auch bei den Sterbetafeln der Versicherer ein. Und der Effekt der stark überzeichneten Lebenserwartung wird dann immer deutlicher, je jünger die betrachtete Person ist.

Liebe Grüße

Axel Kleinlein
Kommentar von Peter Schwark  am  04.07.2019 17:38
Lieber Herr Kleinlein,

gut gebrüllt Löwe, aber:

1. Die Aktuarvereinigung (namentlich Herr Dr. Lörper, mit dem Sie auf der letzten Wissenschaftstagung wirklich toll musiziert haben) hat die Generationentafel des statistischen Bundesamtes (vgl. Folie 2, Fußnote *) mit der DAV-Tafel verglichen, nicht die Periodentafel. Während das statistische Bundesamt bei Periodentafeln tatsächlich seit einigen Jahren explizit davor warnt, diese für Prognosen zu verwenden, da diese je nur aktuelle Verhältnisse beschreiben, wurden Generationen- oder Kohortentafeln für Modellrechnungen extra entwickelt, u.a. zur Bevölkerungsvorausberechnung.

Wir würden derartige Hochrechnungen auch nicht wie Sie einfach falsch nennen, sondern ex post je zu optimistisch oder pessimistisch. Deshalb rechnet das statistische Bundesamt alle drei Jahre neu. Auch die Aktuare überprüfen die Sterbetafeln regelmäßig, weil sich die Realität stetig ändert und das Einfluss haben kann.

Belege:

a) Periodentafeln taugen nicht zur Prognose: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2018/10/PD18_404_12621.html

b) Generationentafeln dienen für Modellrechnungen: https://www.destatis.de/DE/Methoden/WISTA-Wirtschaft-und-Statistik/2012/12/geburten-sterbefaelle-ehe-2011_122012.pdf?__blob=publicationFile&v=4, S. 1072.


2. Da zwischen 1987 und 1994 kaum Rentenverträge abgeschlossen wurden (Bestand z.B. 1990 1,6 Mio., 2018: 44 Mio.), und bei Verträgen bis 2005 zumeist das damals noch steuerfreie Kapital gewählt wurde, kam es zu keiner spürbaren Belastung durch Nachreservierungen.

Beleg für die Zahlen: https://www.gdv.de/resource/blob/34084/953b4048365cf01fb254ba9175b0d948/lebensversicherung-in-zahlen-2018-data.pdf, S. 18.


3. Ob die Hochrechnungen der Aktuare stimmen oder nicht, hängt nicht vom Bevölkerungsdurchschnitt ab, wie Sie unterstellen, sondern vom Versichertendurchschnitt. Freiwillig Rentenversicherte, die zu Rentenbeginn auch nicht die Kapitalabfindung wählen, sind in der Regel normal gesund. Menschen mit subjektiv verkürzter Lebenserwartung - etwa aufgrund von chronischen Erkrankungen - wählen immer die Kapitalabfindung. Deshalb sterben kaum privat Rentenversicherte in den ersten fünf Jahren nach Rentenbeginn anders als etwa gesetzlich Rentenversicherte, wo es die Kapitalabfindung nicht gibt.

Es darf aber im Normalfall auch ansonsten nicht anders sein, dass immer mehr versterben als kalkuliert, denn sonst wäre der Versicherer schnell pleite. Deshalb hat der Gesetzgeber in der Kalkulation das Vorsichtsprinzip vorgeschrieben. Das Vorsichtsprinzip ist mit „unredlich“ sicher unzutreffend beschrieben. Die Sicherheitsmargen werden durch die Überschussbeteiligung ausgeglichen.

Beleg: https://aktuar.de/Dateien_extern/DAV/Pressemappen/20170126%20Langlebigkeit%20Loerper%20Berlin%20(002).pdf, ab Folie 5.

Bleiben Sie uns gewogen!

Beste Grüße

Peter Schwark
Kommentar von Philip Wenzel  am  04.07.2019 13:46
Grüß Sie Herr Kleinlein,

Sie bringen mich immer wieder in die unangenehme Lage, die Versicherer verteidigen zu müssen...

Ihr Artikel wäre nämlich deutlich hilfreicher, wenn wenigstens Sie darlegen würden, wie Sie auf die 32.000 Überlebenden kommen. Wer sind die 100.000 1987 lebenden 65-Jährigen? So lässt sich mit Ihren Worten einfach schreiben "Traue keiner Statisitik..."

Und ich bin zwar kein Aktuar, aber ich denk mal einfach laut... Wer 1987 65 Jahre alt war, hat die Entbehrungen des 2. Weltkrieges durchlebt und ist vielleicht sogar verletzt. Ich bin 1980 geboren und meine Erinnerung an den Schwimmunterricht ist geprägt von dem Bild des gleichzeitig stattfindenden Schwimmens der Kriegsversehrten.

Da wir seit dem 2. Weltkrieg in Deutschland keinen Krieg mehr hatten und wir auch recht gut leben, ist irgendwie schon mit einer erhöhten Lebenserwartung zu rechnen. McDonalds wird uns nicht alle erwischen...

Aber wie gesagt, ich bin kein Aktuar.

Liebe Grüße

Philip Wenzel

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