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Kleinleins Klartext

Die real existierende Digitalisierung der Versicherungsbranche

Die real existierende Digitalisierung der Versicherungsbranche

 23.08.2017  Kleinleins Klartext  0 Kommentare  Axel Kleinlein

Ein sehr guter Freund von mir kommt aus der DDR. Er ist dort aufgewachsen und war gerade am Studieren, als die Mauer fiel. Wenn er von „damals“ berichtet, dann erzählt er gerne auch Witze aus der damaligen Zeit, sogenannte „staatsfeindliche“ Witze (natürlich aus Sicht der DDR staatsfeindlich). Da gibt es zum Beispiel den Witz vom „großen Sprung“, der die damalige desolate wirtschaftliche Lage der DDR veräppeln sollte.

Der Witz geht etwa so:

Frage: Woran erkennt man, dass der real existierende Sozialismus bald den westlichen Kapitalismus auch wirtschaftlich weit überholen wird?

Antwort: Das erkennt man daran, dass der real existierende Sozialismus aktuell hinter dem Kapitalismus herhinkt. Denn wer zum großen Sprung ansetzt, der muss erst in die Hocke gehen und zurückfallen.

Oder anders ausgedrückt: Gerade, weil die DDR wirtschaftlich schlecht dastand, hätte sie beste Chancen, den Westen wirtschaftlich zu überflügeln. Das war natürlich ausgemachter Blödsinn.

Warum ich den Witz jetzt anführe? Weil Robert Heene, Manager bei der Bayerischen Versicherungskammer, in einem Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk einen kruden Vergleich anstellt, der mich stark an den Witz erinnert. Heene sieht die deutsche Versicherungswirtschaft in Sachen Digitalisierung wie einen Sprinter, der nicht richtig vom Startpunkt wegkommt. Und weil es einen Sprinter gab, der dann trotzdem immer wieder gewonnen hat – nämlich Carl Lewis –,sieht er die Versicherungswirtschaft ähnlich gut aufgestellt.

Oder anders ausgedrückt: Gerade, weil die Versicherungswirtschaft in Sachen Digitalisierung erst mal nicht richtig in die Pötte gekommen ist, hätte sie beste Chancen, sich richtig gut zu schlagen. Das klingt irgendwie ähnlich wie dieser DDR-Witz.

Das Problem der DDR war ja, dass sie eigentlich kein Konzept hatte, wie sie wirtschaftlich irgendwie gesunden könnte. Deswegen musste sie auf krude Durchhalteparolen zurückgreifen. Herr Heene argumentiert nun aber ähnlich krude! Heißt das dann, dass auch die Versicherungswirtschaft desolat dasteht, wenn es um die Digitalisierung geht?

Ähnlich weit hinterm Mond

Mein Eindruck: Ja, die Versicherer sind in Sachen Digitalisierung ähnlich weit hinterm Mond, genauso wie es die DDR in den 80ern war. Woran ich das festmache? Es gibt zum Beispiel ein großes Unternehmen, das auch heute noch (2017!) einem Kunden mitteilt, dass es aufgrund ungenügender IT nicht sagen kann, wie viel Geld der Kunde in seinen Vertrag eingezahlt hat. Der Versicherer schreibt, dass er das schon irgendwie herausbekommen könne. Das zu recherchieren wäre aber so derartig aufwendig, dass man die Kosten dafür nicht der Versichertengemeinschaft aufbürden dürfe. Deswegen lässt er es lieber.

Es geht bei dieser Frage nicht um komplizierte Berechnungen. Es geht nur darum, wie viel Geld der Kunde eingezahlt hat! Es geht um eine Zahl, die der Versicherer ab nächstem Jahr sogar standardmäßig per Gesetz vorhalten muss! Eine IT, die im Jahr 2017 selbst so eine einfache Zahl nicht digital auf Knopfdruck vorhalten kann, die ist ähnlich gut aufgestellt wie die DDR in den 80ern – oder noch schlechter.

Derartige Probleme findet man zuhauf in der Versicherungswirtschaft: Tausendfach falsch gerechnete Überschüsse, Versicherungsbedingungen die man nicht mehr nachstellen kann, Rechenkerne in Programmiersprachen, die vollkommen veraltet sind…

Herrn Heene ist vermutlich gar nicht klar gewesen, dass er die desolate Lage der Versicherer mit seinem Zitat ziemlich gut auf den Punkt gebracht hat. Aber nur, wenn man das als Witz versteht, so wie der DDR-Witz vom „großen Sprung“. Wenn Herr Heene den Vergleich aber ernst meint und damit eine neue Durchhalteparole kreieren möchte, dann steht es bitter um die real existierenden Digitalisierungsbemühungen der Versicherer. Die Versicherer haben dann eine wichtige Entwicklung verschlafen- so wie damals der real existierende Sozialismus der DDR.

PS: Bei der DDR kam dann Herr Gorbatschow und sprach davon, dass „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“. Und wer kommt jetzt bei der Versicherungsbranche?

 

Hintergrund: Zitat des Tages des Versicherungsmonitor vom 16.08.2017

„Carl Lewis war erfolgreich im 100-Meter-Lauf. Aus dem Startblock war er nie der erste, aber meistens ist er als Erster durchs Ziel gekommen. Wenn ich das auf uns übertrage: Wir haben extrem gut pariert als Versicherungsbranche. Ich denke, da brauchen wir uns nicht scheuen im Wettbewerb.“

Robert Heene, Vertriebsvorstand bei der Bayerischen Versicherungskammer, vergleicht im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk die Leistungen eines US-Leichtathleten mit den Digitalisierungsfortschritten der Versicherungsbranche.
  


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