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Kleinleins Klartext

Ich bekenne: Einst war ich ein stolzer Allianzler…

Ich bekenne: Einst war ich ein stolzer Allianzler…

 21.10.2020  Kleinleins Klartext  2 Kommentare  Axel Kleinlein

Ich war ein Allianzler. Ich habe damals, Ende der 90er mitgemacht, als es darum ging, Tarife für den Marktführer zu rechnen. Auch ich habe mit vier Prozent Garantiezins kalkuliert. Auch ich habe nicht wirklich einen Gedanken darüber verloren, ob das auch sinnvoll ist. Ich war ein kleines Rädchen in dem riesigen Aktuariat des Marktführers. Natürlich habe ich mich an dem orientiert, was damals „State of the Art“ war und habe die Formeln, die Rechnungsgrundlagen und die Technik verwendet, die damals üblich war.

Damals war die Tarifkalkulation einfacher als heute

Damals war die Tarifkalkulation etwas einfacher als heute. Es gab klar definierte Sterbetafeln, die auch öffentlich zugänglich waren. Das Formelwerk war mehr oder weniger das gleiche, mit dem die Versicherungsmathematiker, die Aktuare, in der deutschen Versicherungswirtschaft über viele Jahrzehnte gerechnet haben. Ich war fasziniert von dieser Versicherungsmathematik, die ich dank der Allianz kennenlernen konnte. Im Studium hatte ich mich ja nie damit beschäftigt.

Für mich waren diese Formeln und die Rechnungsgrundlagen gesetzt. Sie zu hinterfragen, dafür hatte ich keine Veranlassung. Zwar waren die Zinsen schon langsam am sinken und wir diskutierten, wie hoch wohl der nächste Höchstrechnungszins sein würde und wann er denn vorgeschrieben wäre. Manche Kollegen meinten, 3,5 Prozent wären zu erwarten, andere meinten, drei Prozent wäre der Wert. Es kamen dann 3,25 Prozent ab Juli 2000. Also keine echte Überraschung.

Japan war weit weg 

In manchen Fachzeitschriften konnten wir damals lesen, dass in Japan die Lage der Lebensversicherer katastrophal wäre. Dort waren die Zinsen ja schon seit geraumer Zeit sehr niedrig. Dort gingen Lebensversicherer pleite. Aber Japan war weit weg und die Vorgesetzten gingen davon aus, dass wir in Deutschland, in Europa, derartige Entwicklungen niemals zu befürchten hätten. Ach, Ja! Auch die Aufsichtsbehörde, damals das als „das Amt“ gefürchtete Aufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV), sah auch kein Problem mit einem Rechnungszins von vier Prozent.

Beeindruckende Lebenserwartungen

Schon damals haben wir Tarife gerechnet, die wir über einige Jahrzehnte kalkuliert haben. Ich war als Jungmathematiker beeindruckt, mit welchen Lebenserwartungen wir Renten kalkulierten. Schon in den 90ern lagen die in der Kalkulation angesetzten Lebenserwartungen bei knapp 100 Jahren für Neugeborene! Trotzdem stellte sich für uns nicht die Frage, ob vier Prozent denn auch über diesen langen Zeitraum klappen würden. Wir sind einfach davon ausgegangen, dass das schon irgendwie gut geht.

Damals gab es britische Versicherer, die die Verträge mit noch höheren Zinsen hochgerechnet haben. Es gab auch fondsgebundene Verträge, die noch viel mehr in Aussicht stellten. Für die Allianz war das Teufelszeug. Die Allianz war überzeugt davon, dass die klassische Lebensversicherung „bezogen auf das eingegangene Risiko erheblich höhere Renditen erwirtschaften … als Anlagen in deutsche Renten oder auch Aktien“. So hat sie das damals im Geschäftsbericht geschrieben. Hintergrund wäre „der kollektive und damit sehr preisgünstige Ausgleich von Kapitalmarktrisiken über die Zeit“…

Garantierter Verlust

Und jetzt? Jetzt klappt das alles nicht mehr. Die Allianz hat das nicht mehr im Griff. Überschüsse fließen zum Beispiel erst mal nicht an die Kundinnen und Kunden, sondern in die Zinszusatzreserve, um (auch meine) Kalkulationsfehler von damals auszugleichen. Bewertungsreserven sind massiv gekürzt. Die klassischen Verträge spielen im Neugeschäft keine Rolle mehr. Und was früher eine „garantierte Rendite“ war, das ist bei der Allianz heute „garantierter Verlust“. Traurig, was aus meinem alten Arbeitgeber geworden ist.

PS: Ich gebe es zu, ich war damals auch ein wenig stolz, im Aktuariat der Allianz zu arbeiten. Aber das war einmal. Jetzt bin ich stolz, dass mich der Weg über viele Stationen im Verbraucherschutz hier zum Bund der Versicherten gebracht hat.


Kommentare
Kommentar von Axel Kleinlein  am  10.11.2021 09:27
Liebe Monika,
Altersvorsorge ist genauso individuell wie jede einzelne Person auch, deshalb gibt es keine Lösung die für alle richtig ist.
Was aber schon mal ein wichtiger Ansatz ist: Das Ansparen (bis zur Rente) und das Entsparen (also das Verbrauchen des Geldes im Alter) sollten voneinander getrennt werden.
Welche Finanzprodukte beim Ansparen passen, das kann individuell sehr verschieden sein. Der von Ihnen genannte ETF-Sparplan ist da oft eine gute Wahl.
Wenn es ums Entsparen geht, dann muss man sich auch überlegen, ob zum Beispiel ein selbstorganisierter Auszahlplan, das Investment in eine selbstgenutzte Immobilie oder (in seltenen Fällen) womöglich auch ein Versicherungsangebot passend ist.
Da die Politik bei Riester- und Rüruprenten die Versicherungswirtschaft massiv privilegiert hat, haben sich auch kaum andere Entsparlösungen entwickeln können. Ich hoffe, das wird unter der neuen Regierung etwas besser, wenn dann vielleicht auch andere Altersvorsorgelösungen gefördert würden. Dann kommen (hoffentlich) auch bessere Lösungen zur „Verrentung“ von Kapital.
Beste Grüße
Axel
Kommentar von Monika  am  04.11.2021 11:56
Guten Tag,

bitte meinen Kommentar nicht als Kritik verstehen - ich hätte aber wirklich gerne eine Antwort auf diese Frage.
Es wird immer betont, dass die Versicherer sich verkalkuliert hätten und deshalb nun Probleme entstehen, die man mit einer pessimistischeren Garantiezusage zur damaligen Zeit nun nicht hätte.
Nun sind bei Neuverträgen die Garantien quasi absolut minimal - man bekommt letztlich fast nur noch die eingezahlten Beiträge garantiert und über die Rentenfaktoren müssen wir auch nicht wirklich sprechen.
Man könnte nun auch sagen, dass die Versicherer doch scheinbar gelernt haben und nun eben sehr vorsichtig kalkulieren.

Ich verstehe die Kritik durchaus und mich stört es selbstverständlich, dass die Garantien nun ein schlechter Witz sind. Aber was wäre Ihre Lösung für die Thematik der Altersvorsorge? Natürlich kann man einen ETF-Sparplan einrichten - dann existieren aber natürlich auch keinerlei Garantien (ähnlich wie es nun eben auch die Versicherer tun).

Ich bin selbst kein Freund der Versicherungen - aber die Kritik die geäußert wird ist eben teils auch etwas schwer nachzuvollziehen als Laie, da es sich so anhört, als könnte sowieso nichts richtig gemacht werden. Entweder es wird zu viel garantiert und das kann dann später nicht eingehalten werden, oder es wird zu wenig garantiert, sodass die Versicherungsverträge sich nicht lohnen.
Ihren Lösungsansatz sehe ich allerdings nicht.

Ich würde mich wirklich sehr über eine ausführliche Antwort freuen!

Beste Grüße,
Monika

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