Wir geben Einblicke in die Versicherungswelt - von A wie Altersvorsorge bis Z wie Zinszusatzreserve.
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Ich war ein Allianzler. Ich habe damals, Ende der 90er mitgemacht, als es darum ging, Tarife für den Marktführer zu rechnen. Auch ich habe mit vier Prozent Garantiezins kalkuliert. Auch ich habe nicht wirklich einen Gedanken darüber verloren, ob das auch sinnvoll ist. Ich war ein kleines Rädchen in dem riesigen Aktuariat des Marktführers. Natürlich habe ich mich an dem orientiert, was damals „State of the Art“ war und habe die Formeln, die Rechnungsgrundlagen und die Technik verwendet, die damals üblich war.
Damals war die Tarifkalkulation etwas einfacher als heute. Es gab klar definierte Sterbetafeln, die auch öffentlich zugänglich waren. Das Formelwerk war mehr oder weniger das gleiche, mit dem die Versicherungsmathematiker, die Aktuare, in der deutschen Versicherungswirtschaft über viele Jahrzehnte gerechnet haben. Ich war fasziniert von dieser Versicherungsmathematik, die ich dank der Allianz kennenlernen konnte. Im Studium hatte ich mich ja nie damit beschäftigt.
Für mich waren diese Formeln und die Rechnungsgrundlagen gesetzt. Sie zu hinterfragen, dafür hatte ich keine Veranlassung. Zwar waren die Zinsen schon langsam am sinken und wir diskutierten, wie hoch wohl der nächste Höchstrechnungszins sein würde und wann er denn vorgeschrieben wäre. Manche Kollegen meinten, 3,5 Prozent wären zu erwarten, andere meinten, drei Prozent wäre der Wert. Es kamen dann 3,25 Prozent ab Juli 2000. Also keine echte Überraschung.
In manchen Fachzeitschriften konnten wir damals lesen, dass in Japan die Lage der Lebensversicherer katastrophal wäre. Dort waren die Zinsen ja schon seit geraumer Zeit sehr niedrig. Dort gingen Lebensversicherer pleite. Aber Japan war weit weg und die Vorgesetzten gingen davon aus, dass wir in Deutschland, in Europa, derartige Entwicklungen niemals zu befürchten hätten. Ach, Ja! Auch die Aufsichtsbehörde, damals das als „das Amt“ gefürchtete Aufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV), sah auch kein Problem mit einem Rechnungszins von vier Prozent.
Schon damals haben wir Tarife gerechnet, die wir über einige Jahrzehnte kalkuliert haben. Ich war als Jungmathematiker beeindruckt, mit welchen Lebenserwartungen wir Renten kalkulierten. Schon in den 90ern lagen die in der Kalkulation angesetzten Lebenserwartungen bei knapp 100 Jahren für Neugeborene! Trotzdem stellte sich für uns nicht die Frage, ob vier Prozent denn auch über diesen langen Zeitraum klappen würden. Wir sind einfach davon ausgegangen, dass das schon irgendwie gut geht.
Damals gab es britische Versicherer, die die Verträge mit noch höheren Zinsen hochgerechnet haben. Es gab auch fondsgebundene Verträge, die noch viel mehr in Aussicht stellten. Für die Allianz war das Teufelszeug. Die Allianz war überzeugt davon, dass die klassische Lebensversicherung „bezogen auf das eingegangene Risiko erheblich höhere Renditen erwirtschaften … als Anlagen in deutsche Renten oder auch Aktien“. So hat sie das damals im Geschäftsbericht geschrieben. Hintergrund wäre „der kollektive und damit sehr preisgünstige Ausgleich von Kapitalmarktrisiken über die Zeit“…
Und jetzt? Jetzt klappt das alles nicht mehr. Die Allianz hat das nicht mehr im Griff. Überschüsse fließen zum Beispiel erst mal nicht an die Kundinnen und Kunden, sondern in die Zinszusatzreserve, um (auch meine) Kalkulationsfehler von damals auszugleichen. Bewertungsreserven sind massiv gekürzt. Die klassischen Verträge spielen im Neugeschäft keine Rolle mehr. Und was früher eine „garantierte Rendite“ war, das ist bei der Allianz heute „garantierter Verlust“. Traurig, was aus meinem alten Arbeitgeber geworden ist.
PS: Ich gebe es zu, ich war damals auch ein wenig stolz, im Aktuariat der Allianz zu arbeiten. Aber das war einmal. Jetzt bin ich stolz, dass mich der Weg über viele Stationen im Verbraucherschutz hier zum Bund der Versicherten gebracht hat.