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Kleinleins Klartext

Leider kein Quatsch: Noch nie hat sich eine Branche so dermaßen brutal verkalkuliert wie die deutschen Lebensversicherer

Leider kein Quatsch: Noch nie hat sich eine Branche so dermaßen brutal verkalkuliert wie die deutschen Lebensversicherer

 23.09.2020  Kleinleins Klartext  3 Kommentare  Axel Kleinlein

Lieber „Andi“,

bitte sei nicht sauer mit mir. Ich bin nur der Bote, nicht der Verursacher. Ich benenne nur das Problem, ich bin nicht das Problem. Ich lege nur offen, dass die deutschen Lebensversicherer die brutalste Fehlkalkulation der deutschen Geschichte hingelegt haben, aber ich habe die Fehlkalkulation nicht verursacht.

Ich kenne dich, „Andi“, (vermutlich) nur als Kommentator meiner Kolumne. Letzten Freitagnachmittag hattest Du viel Zeit und hast zu ein paar meiner Kolumnen deine Meinung gesagt. Richtig freundliche Worte hast du nicht gefunden. Da redest du von „absurd“, „haarsträubend“ oder „Quatsch“. Das Ausrufezeichen ist dabei eines deiner liebsten Satzzeichen. Offensichtlich fühlst du dich von mir angegriffen. Deine Probleme sind vielfältig.

Versicherungsmathematik ist kompliziert

Du bist zum Beispiel unglücklich darüber, dass ich von „Kalkulationsfehlern“ rede. Das ist vielleicht auch nicht so leicht zu verstehen, warum ich das sage. Deswegen will ich das hier nun etwas genauer erläutern. Versicherungsmathematik ist ja auch etwas komplizierter.

Wenn ein Versicherungsmathematiker (ein Aktuar) einen Tarif kalkuliert, dann muss er bestimmte mathematische Annahmen treffen. Er muss sich zum Beispiel überlegen, wie lange die Kundinnen und Kunden vermutlich leben und wann sie sterben werden. Er muss sich das überlegen, um damit die Rentenzahlungen und Todesfallleistungen zu kalkulieren. Läuft es dann später aber dumm und es sterben zum Beispiel bei einem Risikotarif viel mehr Kundinnen und Kunden als kalkuliert, dann ist die Kalkulation fehlgeschlagen. Dann hat sich der Aktuar bei der Sterblichkeit vertan. Deshalb rechnet er immer erst mal mit etwas mehr Versterbenden, um dann am Schluss möglichst auf der sicheren Seite zu sein (und wenn’s trotzdem schiefgeht, dann gibts hoffentlich einen Rückversicherer).

Der Aktuar muss auch einkalkulieren, wie hoch die Kosten vermutlich sein werden. Wenn die tatsächlichen Kosten abschmieren – weil zum Beispiel die Vermittler viel mehr Provisionen bekommen als ursprünglich angenommen - dann hat er sich verrechnet. Auch dann hat er sich verkalkuliert. Deswegen rechnen die Aktuare am besten immer mit etwas höheren Kosten, als sie zu erwarten sind. Dann gibt es immer einen Kostenpuffer, mit dem der Aktuar eine Fehlkalkulation vermeidet.

Schließlich muss der Aktuar auch eine Annahme zur Verzinsung tätigen. Er muss sich überlegen, was er meint, welchen Zins sein Unternehmen denn auf Dauer auf jeden Fall immer erwirtschaften kann. Damit sich die Aktuare nicht übernehmen, gibt es per Verordnung einen höchsten Zinssatz, der überhaupt erlaubt ist. Dieser Höchstzinssatz oder Höchstrechnungszins ist aber nicht immer gleich. In den 90ern war er sogar bei vier Prozent und liegt jetzt bei nur noch 0,9 Prozent.

Aber auch wenn bis zu 4 Prozent möglich waren, durfte der Aktuar den Zins nur so hoch ansetzen, wie er tatsächlich annahm, dass er vom Unternehmen auch erwirtschaftet wird. Das nennt man dann Zinskalkulation. Hat der Aktuar mit vier Prozent kalkuliert, dann hat er also angenommen, dass sein Unternehmen auch immer mindestens vier Prozent erwirtschaften wird. Scheitert das Unternehmen aber dann daran, diese vier Prozent zu erwirtschaften, dann hat sich der Aktuar verkalkuliert. Es liegt dann also ein Kalkulationsfehler vor.

Die größten Dilettanten der Produktkalkulation

Und das ist flächendeckend so ziemlich allen Lebensversicherungsunternehmen passiert. So ziemlich alle haben Tarife mit einem Zins von vier Prozent kalkuliert und können jetzt diesen Zins schon seit Jahren nicht erwirtschaften. Vermutlich noch nie hat sich eine Branche so dermaßen brutal verkalkuliert wie die deutschen Lebensversicherer! Die deutschen Lebensversicherer der 90er waren die größten Dilettanten der Produktkalkulation der gesamten Republik - einfach nur, weil sich eine Handvoll Aktuare in den Annahmen zur Verzinsung übernommen haben!

Übrigens, vorher hat das Bundesamt für die Versicherungsaufsicht (BAV) dabei mitgemacht und die Kalkulation mit den hohen Zinsen als in Ordnung abgesegnet. Damit gesellen sich die Aktuare des damaligen BAV noch zu den Versicherungsmathematikern, die sich verkalkuliert haben. Eigentlich müsste dann also die Aufsichtsbehörde die Verantwortung für Fehlkalkulationen bis 1994 übernehmen. Oder aber gleich der Bundesfinanzmister, der ja oberster Dienstherr der Aufsicht ist und war.

Ich hoffe, ich konnte dir zeigen, dass ich leider recht habe, wenn ich davon rede, dass sich die Versicherer massiv verkalkuliert haben. Bitte glaube mir, dass ich mich nicht darüber freue. Ich würde mir wünschen, wir hätten dieses Problem nicht und die Versicherer hätten sich von vornherein auf das konzentriert, was sie können – nämlich echte Versicherungsrisiken zu kalkulieren.

Beste Grüße

Axel

PS: Lieber Andi, ich weiß nicht wer du bist, aber gerne würde ich dir auch noch die anderen Punkte erläutern, die du nicht verstehst. Du schimpfst zum Beispiel, dass eine Überschussbeteiligung nie versprochen gewesen wäre. War sie aber. Sie war es und ist es noch immer! So stehts in den Versicherungsbedingungen und die gelten. Da steht zwar nicht, wie viel Überschussbeteiligung zu zahlen ist, aber da steht, dass es eine angemessene Überschussbeteiligung geben muss.


Kommentare
Kommentar von Andi  am  12.10.2020 13:08
P.S.: Ich bin gespannt ob die neuen Produkte der Allianz mit deutlich vorsichtiger Kalkulation der Risiken dann zu völliger Begeisterung bezüglich der Zinsannahmen führen werden! An sich müsste das Konzept ja dann reine Lobeshymnen nach sich ziehen ;-)

Voraussetzung dafür wäre aber natürlich, den fundamentalen Zusammenhang zwischen WENIGER Garantien und MEHR Renditechancen verinnerlicht zu haben und auch so darzustellen. 90% Garantie heißt natürlich nicht, dass der Kunde am Ende nur 90% bekommt, sondern ziemlich sicher mehr als der mit 100% Bruttobeitragsgarantie.

Das Ganze wiederum ist aber kein Argument gegen die Altverträge, die den Kunden wegen gutem Asset Liability Management in der Branche teils noch über Jahrzehnte günstige Zinsen sichern, da sie zu einer anderen Zeit abgeschlossen waren und auch die Kapitalanlagen aus der Zeit daher noch deutlich besser rentieren. Klingt kompliziert? Isses aber gar nicht...
Kommentar von Andi  am  08.10.2020 11:52
Lieber Axel,

es ist schön, dass immerhin mal ein Dialog mit der Versicherungswirtschaft in Gang kommt! Soweit ich die bisherigen Äußerungen des BdV wahrnehmen konnte, war das bisher eher nicht Ziel des Ganzen, sondern nur dumpfes Draufgehaue auf die Branche aus persönlichem Frust, aber OK - lassen wir das vorerst mal beiseite!

Nun wird also mit bemerkenswertem Eifer Deinerseits versucht, Recht zu behalten in der Aussage: "In der LV waren nur Deppen unterwegs und die haben sich alle verkalkuliert" - wie genau verkalkuliert? Also sie haben den Kunden zuviele Zinsen in die Tarife einkalkuliuert.
Nun mag es erstmal komisch wirken, dass sich ein (vermeintlicher) Verbraucherschützer darüber aufregt, den Kunden würde zu viel Verzinsung mitgegeben - aber lassen wir auch diese kognitive Dissonaz vorerst mal unbehandelt.
Zu viel versprochen wäre es ja erst dann, wenn in der HGB-Welt, denn darauf beruht die ganze Berechnung von Überschussquellen was die Kapitalanlage-Ergebnisse anbetrifft ja, ein Problem in der Branche da wäre, die Nettoverzinsung in Höhe der Garantien darzustellen. Wo lag nun die Nettoverzinsung im Jahr 2019? Bei 3,91%, siehe
https://www.gdv.de/de/zahlen-und-fakten/versicherungsbereiche/kapitalanlagen-24042#Nettoverzinsung

Diese 3,9% reichen nun aber locker für die versprochenen Garantien und sogar noch etwas zur Zukunftsvorsorge für künftige Garantien. Sie haben genauso in den Vorjahren immer gereicht, selbst wenn man noch nicht mal ins Detail geht und mit einkalkuliert, dass die Kapitalanlagen vom Volumen her immer fast 10% über den Verpflichtungen liegen und damit selbst ein geringerer %-Satz Nettoverzinsung als 4% ausreicht, um 4%-er Garantien zu bedienen.

Wird das auch künftig ausreichen? Ja, aber sicher, denn immerhin hier waren Branche und Gesetzgeber so vorausschauend, die ZZR zu bilden, sodass ab Ende 2020 gelten wird: Kein LV-Vertrag hat mehr eine höhere bilanzielle RZ-Belastung als 1,73%, viele inzwischen darunter - damit ist das Argument des "Verkalkulierens" endgültig widerlegt.

Zu einer angelblich "versprochenen" Überschussbeteiligung auch nur soviel: Natürlich wird ÜB gewährt wie es lt. den einschlägigen MindZV vorgeschrieben ist - dem Grunde nach verpflichtend, aber jede Musterrechnung bei Vertragsschluss kann natürlich immer nur eine unverbindliche Prognose der Höhe nach sein!

Ich wünsche noch einen schönen Tag, aber bitte künftig ohne Fake News!

Und bitte mal ernsthaft über die Rolle als Verbraucherschützer nachdenken, bevor man Sätze veröffentlicht wie "Bitte glaube mir, dass ich mich nicht darüber freue. Ich würde mir wünschen, wir hätten dieses Problem nicht ..." denn das bedeutet real übersetzt eher: "Ich würde mich freuen wenn die Kunden nur 2-3% statt der 3-4% Garantiezins erhalten hätten"!
Kommentar von axs1  am  24.09.2020 11:04
Vielleicht sollte man erwähnen, dass die Stiftung Warentest bzw. Finanztest regelmäßig Rentenversicherungen getestet hat. Ein sehr wichtiges Kriterium war dabei die Höhe der garantierten Rente. Das dürfte wohl auch ein Grund sein, warum alle Anbieter immer mit dem maximal möglichen Rechnungszins kalkuliert haben.
Außerdem wurden fondsgebundene Versicherungen gerne wegen der fehlenden garantierten Leistungen kritisiert.
Offensichtlich haben nicht nur den Versicherungen und der Aufsicht der langfristrige Weitblick gefehlt... Die Experten der Finanztest hätte sich mal Gedanken darüber machen können, was ein garantierter Rechnungszins von 4% für einen Zeitraum von 20, 30 oder gar 40 Jahren eigentlich für die Kunden bedeutet, ebenso eine Beitragsgarantie wie bei der Riesterrente.

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