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Lieber „Andi“,
bitte sei nicht sauer mit mir. Ich bin nur der Bote, nicht der Verursacher. Ich benenne nur das Problem, ich bin nicht das Problem. Ich lege nur offen, dass die deutschen Lebensversicherer die brutalste Fehlkalkulation der deutschen Geschichte hingelegt haben, aber ich habe die Fehlkalkulation nicht verursacht.
Ich kenne dich, „Andi“, (vermutlich) nur als Kommentator meiner Kolumne. Letzten Freitagnachmittag hattest Du viel Zeit und hast zu ein paar meiner Kolumnen deine Meinung gesagt. Richtig freundliche Worte hast du nicht gefunden. Da redest du von „absurd“, „haarsträubend“ oder „Quatsch“. Das Ausrufezeichen ist dabei eines deiner liebsten Satzzeichen. Offensichtlich fühlst du dich von mir angegriffen. Deine Probleme sind vielfältig.
Du bist zum Beispiel unglücklich darüber, dass ich von „Kalkulationsfehlern“ rede. Das ist vielleicht auch nicht so leicht zu verstehen, warum ich das sage. Deswegen will ich das hier nun etwas genauer erläutern. Versicherungsmathematik ist ja auch etwas komplizierter.
Wenn ein Versicherungsmathematiker (ein Aktuar) einen Tarif kalkuliert, dann muss er bestimmte mathematische Annahmen treffen. Er muss sich zum Beispiel überlegen, wie lange die Kundinnen und Kunden vermutlich leben und wann sie sterben werden. Er muss sich das überlegen, um damit die Rentenzahlungen und Todesfallleistungen zu kalkulieren. Läuft es dann später aber dumm und es sterben zum Beispiel bei einem Risikotarif viel mehr Kundinnen und Kunden als kalkuliert, dann ist die Kalkulation fehlgeschlagen. Dann hat sich der Aktuar bei der Sterblichkeit vertan. Deshalb rechnet er immer erst mal mit etwas mehr Versterbenden, um dann am Schluss möglichst auf der sicheren Seite zu sein (und wenn’s trotzdem schiefgeht, dann gibts hoffentlich einen Rückversicherer).
Der Aktuar muss auch einkalkulieren, wie hoch die Kosten vermutlich sein werden. Wenn die tatsächlichen Kosten abschmieren – weil zum Beispiel die Vermittler viel mehr Provisionen bekommen als ursprünglich angenommen - dann hat er sich verrechnet. Auch dann hat er sich verkalkuliert. Deswegen rechnen die Aktuare am besten immer mit etwas höheren Kosten, als sie zu erwarten sind. Dann gibt es immer einen Kostenpuffer, mit dem der Aktuar eine Fehlkalkulation vermeidet.
Schließlich muss der Aktuar auch eine Annahme zur Verzinsung tätigen. Er muss sich überlegen, was er meint, welchen Zins sein Unternehmen denn auf Dauer auf jeden Fall immer erwirtschaften kann. Damit sich die Aktuare nicht übernehmen, gibt es per Verordnung einen höchsten Zinssatz, der überhaupt erlaubt ist. Dieser Höchstzinssatz oder Höchstrechnungszins ist aber nicht immer gleich. In den 90ern war er sogar bei vier Prozent und liegt jetzt bei nur noch 0,9 Prozent.
Aber auch wenn bis zu 4 Prozent möglich waren, durfte der Aktuar den Zins nur so hoch ansetzen, wie er tatsächlich annahm, dass er vom Unternehmen auch erwirtschaftet wird. Das nennt man dann Zinskalkulation. Hat der Aktuar mit vier Prozent kalkuliert, dann hat er also angenommen, dass sein Unternehmen auch immer mindestens vier Prozent erwirtschaften wird. Scheitert das Unternehmen aber dann daran, diese vier Prozent zu erwirtschaften, dann hat sich der Aktuar verkalkuliert. Es liegt dann also ein Kalkulationsfehler vor.
Und das ist flächendeckend so ziemlich allen Lebensversicherungsunternehmen passiert. So ziemlich alle haben Tarife mit einem Zins von vier Prozent kalkuliert und können jetzt diesen Zins schon seit Jahren nicht erwirtschaften. Vermutlich noch nie hat sich eine Branche so dermaßen brutal verkalkuliert wie die deutschen Lebensversicherer! Die deutschen Lebensversicherer der 90er waren die größten Dilettanten der Produktkalkulation der gesamten Republik - einfach nur, weil sich eine Handvoll Aktuare in den Annahmen zur Verzinsung übernommen haben!
Übrigens, vorher hat das Bundesamt für die Versicherungsaufsicht (BAV) dabei mitgemacht und die Kalkulation mit den hohen Zinsen als in Ordnung abgesegnet. Damit gesellen sich die Aktuare des damaligen BAV noch zu den Versicherungsmathematikern, die sich verkalkuliert haben. Eigentlich müsste dann also die Aufsichtsbehörde die Verantwortung für Fehlkalkulationen bis 1994 übernehmen. Oder aber gleich der Bundesfinanzmister, der ja oberster Dienstherr der Aufsicht ist und war.
Ich hoffe, ich konnte dir zeigen, dass ich leider recht habe, wenn ich davon rede, dass sich die Versicherer massiv verkalkuliert haben. Bitte glaube mir, dass ich mich nicht darüber freue. Ich würde mir wünschen, wir hätten dieses Problem nicht und die Versicherer hätten sich von vornherein auf das konzentriert, was sie können – nämlich echte Versicherungsrisiken zu kalkulieren.
Beste Grüße
Axel
PS: Lieber Andi, ich weiß nicht wer du bist, aber gerne würde ich dir auch noch die anderen Punkte erläutern, die du nicht verstehst. Du schimpfst zum Beispiel, dass eine Überschussbeteiligung nie versprochen gewesen wäre. War sie aber. Sie war es und ist es noch immer! So stehts in den Versicherungsbedingungen und die gelten. Da steht zwar nicht, wie viel Überschussbeteiligung zu zahlen ist, aber da steht, dass es eine angemessene Überschussbeteiligung geben muss.