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Kleinleins Klartext

Major Tom – oder warum die Versicherer selbst an der Regulierung schuld sind

Major Tom – oder warum die Versicherer selbst an der Regulierung schuld sind

 08.06.2016  Kleinleins Klartext  1 Kommentar  Axel Kleinlein

Immer wieder darf ich erleben, dass wir Verbraucherschützer für so manchen Missstand der Branche verantwortlich gemacht werden sollen. So wären wir etwa daran schuld, dass die armen Versicherungsunternehmen so stark reguliert werden, warf mir jüngst ein hochrangiger Versicherungsmanager vor. Er wollte dies mit einer kleinen Geschichte belegen. Die Geschichte erinnert ein wenig an David Bowies „Major Tom“, den Astronauten und geht ungefähr so:

Stellen Sie sich vor, man hätte 1993 einen Versicherungsmathematiker, einen Aktuar ins All geschossen. Der hätte nichts von all dem mitbekommen, was seither passiert ist. Wie er losgeflogen ist, hatte jeder gehofft, dass es endlich vorbei sei mit der strengen Regulierung der Versicherer. 1994 erfolgte ja die Deregulierung der Versicherungsbranche! Man war sich sicher, dass Versicherungsunternehmen endlich ohne straffe Regulierung arbeiten könnten. Jetzt kommt dieser Aktuar von seinem Trip ins All zurück und stellt fest, dass es sich nicht verbessert hat! Von Brüssel kommt immer mehr Regulierung! Da sind doch die Verbraucherschützer dran schuld!

Erst genehmigen – dann verkaufen

Früher mussten die Versicherungsunternehmen tatsächlich ihre Tarife der Aufsicht zur Prüfung vorlegen. Bis Mitte 1994 musste das damalige Aufsichtsamt (ehrfürchtig DAS AMT genannt) jeden Tarif genehmigen. Und nur was genehmigt war, das durfte verkauft werden. Das war die Welt, die Major Tom, der Aktuar-Astronaut kannte.

Ab Mitte 1994 durften die Unternehmen dann viel freier ganz neue Tarife entwickeln. Sie mussten sich nicht mehr an den Vorgaben vom AMT orientieren. Ganz neue Kostensysteme und Rückkaufswertberechnungen waren jetzt erlaubt! Da war sie endlich, die große Freiheit!

Und was machten die Versicherer? Sie verkauften weiterhin Tarife die im Großen und Ganzen so gestrickt waren, wie das, was sie früher dem AMT vorgelegt haben. Produktinnovation? Fehlanzeige. Dafür war die Produktlandschaft übersichtlich.

Kreativ und intransparent

Das änderte sich schlagartig als die Riester-Rente kam. Für die war ja erstmals eine Art Kostentransparenz vorgeschrieben. Deswegen versuchten die Unternehmen die Transparenz zu umgehen. Endlich wurden die Versicherungsmathematiker, die Aktuare kreativ! Und zuweilen wurden sie dann sogar so arg kreativ, dass sie manchmal die Tarife selbst nicht mehr richtig im Griff hatten.

Angestachelt von der eigenen Kreativität erfanden die Unternehmen nun auch noch immer neue Tarife: Fondsbasierte Renten, Ableitungen von Variable Annuities, Select-Tarife, Mehrtopfhybride … Oft zu Lasten der Kunden, aber dafür immer unverständlicher. Niemand findet sich heute noch wirklich zurecht (wer’s nachhören will, kann sich das vorlesen lassen).

Selber schuld!

Und in genau diese Welt kommt Major Tom zurück: Eine Tarifwelt mit Kosten, die er nicht nachvollziehen kann und mit Produkten, die er nicht versteht. Die Regulierung aus Brüssel hilft hier bislang auch nur wenig. Was würde er nun wohl tun, der Major Tom, der Astronauten-Aktuar? Ich würde es ihm nicht verdenken, wenn er angesichts dieser Produktwelt lieber den Weg ins All sucht und verschwindet...


PS: Und die Moral von der Geschicht‘? Liebe Versicherer, Ihr seid selbst daran schuld, wenn mehr und mehr Regulierung kommt. Ihr habt ein Produktchaos angerichtet, das keiner mehr versteht.

… ground control to Major Tom
Your circuit’s dead, there’s something wrong
Can you hear me, Major Tom?
Can you hear me, Major Tom?
Can you hear me, Major Tom?
Can you…                                                                                                                              David Bowie 1947-2016 


Kommentare
Kommentar von Frank Dietrich  am  09.06.2016 07:53
Sehr geehrter Herr Kleinlein, Unrecht haben Sie nicht aber der Blickwinkel ist zu eng. In meinen Augen sind mehrere Parteien dieser Entwicklung schuld bieten jeweils die Handlungsgrundlage für die nächsten. Gehen wir dem Bereich der privaten Krankenversicherung. Suggeriert nicht regelmäßig ein Rating von Verbraucherschützern, dass die Auswahl des Versicherungsschutzes durchaus über den Preis gehen kann, denn die Inhalte sind doch alle gleich oder doch sehr ähnlich? Reduziert man nicht wesentliche Dinge auf ein Mindestmaß, um vom Grillwürstchen über Damenunterwäsche auch die Krankenversicherung vergleichen zu können? Die notwendige Kritik, die Verbraucher haben sollten, wird damit infrage gestellt und die Firmen, auf Gewinn ausgerichtet, können auf dieser Basis weiter Produkte anbieten, die ihr Geld nicht wirklich wert sind. Auch erlebe ich es derzeit wieder, dass die Abteilung Verbraucherschutz bei der Bafin nicht einmal die Rechtsprechung, geschweige denn die gesetzlichen Grundlagen der Beratung kennt, so dass in diesem Fall die Versicherte, mit falschen Angaben abgeworben, den Schaden trägt und der Versicherer triumphiert. Sicher ein Grund mehr für Major Tom das Weite zu suchen. Diese Probleme zu lösen, wird nur einer Gesamtbetrachtung möglich sein. Gerade auch die Politik sollte hier nie Verantwortung gezogen werden, erlässt sie doch Gesetze und prüft nicht deren Umsetzung. Die Beispiele sind Anzahl nahezu unbegrenzt.
Frank Dietrich

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