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Kleinleins Klartext

Negative Zinsen – eine großartige Analyse mit kleinem Fehler

Negative Zinsen – eine großartige Analyse mit kleinem Fehler

 04.09.2019  Kleinleins Klartext  0 Kommentare  Axel Kleinlein

Es gibt im Moment so gut wie keine Zinsen. Im Gegenteil. Bei Einlagen bei der Zentralbank, bei Staatsanleihen und bei einigen anderen festverzinslichen Papieren muss ein Großanleger sogar Geld dafür bezahlen, dass das Geld geparkt wird. Rechnerisch sind das dann „negative Zinsen“. Ökonomisch ist das aber eine ziemlich unsinnige Bezeichnung.

Diesen Gedanken habe ich einer Analyse von Christian Thimann entnommen, der sich vor ein paar Tagen in der FAZ in einem Namensbeitrag mit der aktuellen Zinspolitik der EZB auseinandersetzte. Ein spannender Artikel, der deutlich kritischere Worte findet, als man sie derzeit aus Berlin und besonders aus dem Bundesfinanzministerium hört. Dort hält man sich mit Meinung zurück. Anders als in manch anderem EU-Mitgliedsstaat hüllt sich unsere deutsche Regierung geradezu in Schweigen, geht es um die Zinspolitik von Draghi bzw. zukünftig Lagarde. Umso wichtiger, eine möglichst öffentliche Diskussion über die EZB-Politik zu führen.

Durchaus erfolgreich?

Ich kann Thimann in vielen seiner Gedanken sehr gut folgen. Diese Negativzinsen, also Strafgebühren für das Deponieren von Geld, lassen sich etwa nur dann durchsetzen, wenn durch Regulierung Zwang ausgeübt wird. In der weiteren Diskussion skizziert er, wie den Finanzinstituten aufgebürdet wird, durch Kosteneinsparungen und Anpassen der Geschäftsmodelle diese Effekte der „Negativzinsen“ auszugleichen. Alles Thesen, denen ich recht gut folgen kann.

Aber dann: Ausdrücklich bescheinigt er den Versicherungsunternehmen, dass sich diese „durchaus erfolgreich“ dem Marktumfeld anpassen würden. Ist das so?

Und mit welchen Tricks entziehen sich vermeintlich die Versicherer den Problemen der Niedrigzinsen?

Zum einen würden sich die Versicherungsunternehmen verstärkt in anderen Sparten, wie etwa der Krankenversicherung, Industrieversicherung und anderen Versicherungszweigen tummeln. Oder sie würden mehr Anlagerisiko den Kundinnen und Kunden aufbürden. Dies würde nach Meinung Thimanns anscheinend ausreichen, um der Versicherungswirtschaft genügend Resilienz zu geben. Ja, derartige Bewegungen sind schon seit ein paar Jahren zu beobachten. Aber reicht das aus, um die Branche zu stabilisieren?

Nur auf den ersten Blick eine Lösung

So sehr ich Thimann schätze, hier liegt er falsch. Zum einen ist der Schwenk auf andere Versicherungssparten nur auf den ersten Blick eine Lösung zur Entspannung. Denn auch die private Krankenversicherung (PKV) ist kapitalgedeckt und damit zu einem wichtigen Anteil auf Verzinsung angewiesen.

Zugegeben, durch das Prämienanpassungsrecht können die PKV-Unternehmen stets gegensteuern und Verwerfungen aus den Kapitalmärkten ziemlich schnell an die Versicherten weitergeben. Die Prämien aber deutlich zu erhöhen, das führt zu keiner dauerhaften Stabilisierung der PKV. Im Gegenteil! Diese Versicherungssparte steht dann um so mehr unter dem Druck, die Existenzberechtigung angesichts der Diskussion um eine Bürgerversicherung zu beweisen. Keine leichte Aufgabe.

Und die Industrie- und Kompositversicherung hat nicht das Potential, eine massive Fehlentwicklung in der Lebensversicherung nachhaltig auszugleichen. Geht es doch in manchen Sparten eher darum, überhaupt eine schwarze Null zu schreiben. Da gibt es nur wenig Spielraum, eine schwächelnde Lebensversicherung zu ersetzen.

Die andere Argumentation Thimanns, mit der die Versicherungswirtschaft vermeintlich „erfolgreich“ auf die Krise reagiert: Der Schwenk weg von Garantieprodukten, hin zu Verträgen, bei denen die Versicherten zunehmend das Anlagerisiko tragen sollen. Ja, dieser Schwenk ist zu beobachten. Aber nein, er erfolgt viel zu spät, um dieser Branche eine echte Entlastung zu geben. Die Lebensversicherer haben sich in den vorangegangenen Jahrzehnten derart vollgesogen mit Verträgen, die eine vergleichsweise hohe Garantieverzinsung beinhalten. Dass noch kein Unternehmen pleitegegangen ist, liegt nur an kurzfristigen Eingriffen des Gesetzgebers.

Es war nicht die Branche selbst, die Lösungen gefunden hat

Die einzigen wirklich nachhaltigen Entwicklungen, die der Branche in den letzten Jahren geholfen haben, kamen eben stattdessen stets vom Gesetzgeber. Er hat den Unternehmen immer wieder neue Instrumente gegeben, um den Versicherten Überschüsse vorzuenthalten. Geholfen haben auch die Regeln, um Gelder zur Absicherung der Garantien heranzuziehen, die eigentlich als Überschüsse hätten ausgekehrt werden sollen – die sogenannte Zinszusatzreserve. Es war nicht die Branche selbst, die Lösungen gefunden hat. Es war der Regulator, der die Regeln zuweilen sehr zu Gunsten der Branche geändert hat – aber zu Lasten der Versicherten.

An einer Stelle kann ich aber im Vergleich zu den Ausführungen von Thimann eine etwas zynische Entwarnung geben. Wenn er sich zum Ende seines Artikels darüber beklagt, dass eine Vorsorgekrise ausgelöst werden könnte, da ja die Lebensversicherer nicht mehr die Vorsorgeprodukte anbieten würden, die die „gewünschte Kombination von Sicherheit, Rendite und Liquidität" ergeben würden, dann liegt er falsch. Nicht, dass es diese Produkte heutzutage gäbe! Nein, es gab sie nämlich noch nie. Es ist ein Trugschluss, dass die deutsche Lebensversicherung erfolgreich die Altersvorsorge unterstützt hätte. Die meisten Versicherten haben real Geld verloren und tun dies heute noch immer.

So sehr ich die Versicherungsbranche mag, ihre Existenzberechtigung ergibt sich nicht aus der kapitalbildenden Lebensversicherung. Jetzt in der Krise ist der richtige Zeitpunkt, sich von diesem Geschäftsmodell zu verabschieden. Es ist an der Zeit, dass die Lebensversicherer Farbe bekennen und zugeben, dass ihr Geschäftsmodell gescheitert ist – und das schon vor Jahrzehnten.

 


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