Wir geben Einblicke in die Versicherungswelt - von A wie Altersvorsorge bis Z wie Zinszusatzreserve.
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Die Versicherungswirtschaft hat sich verirrt. Sie weiß nicht so recht, wo es hingehen soll. Denn eine für sie neue Herausforderung droht: Die Technik des 21. Jahrhunderts! Die neuen Entwicklungen der IT-Welt! Das, was man landläufig als „digital“ versteht, ist neuartig und fremd. Aber: Die Versicherungswelt hat nun erkannt, dass es da etwas gibt, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Eben die Digitalisierung.
Sowohl der Verein zur Förderung der Versicherungswissenschaft in Berlin als auch der Lobbyverband, der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), haben ihre letzten Veranstaltungen diesem Thema gewidmet. Was auffällig war: Einige der Vortragenden kamen nicht aus der Versicherungswirtschaft. Und die aus der Versicherungswirtschaft waren sich nicht so recht einig, worum es bei der Digitalisierung eigentlich gehen soll.
Deshalb habe ich auch schon am Vorabend der GDV-Veranstaltung bei einem Get-Together der Versicherungswelt, den einen oder anderen Vorstand gefragt, was er denn unter Digitalisierung verstehen würde. Das Ergebnis war ein ziemlich bunter Reigen von Ideen: Bessere Netzanbindung des Vertriebs, Cyberpolicen, Kurzzeitpolicen per App, ein moderner und intuitiver Zugang der Kunden zu den Angeboten, Vereinheitlichung von IT-Systemen in den Unternehmen oder aber die Auseinandersetzung mit verschiedensten Facetten des Datenschutzes.
In den Diskussionen, sowohl beim Wissenschaftsverein als auch beim GDV, wurden auch die verschiedensten Aspekte zuweilen etwas unstrukturiert nebeneinander gestellt. Je nach Laune, war mal eine konkrete Haftungsfrage recht spannend (wer haftet, wenn das automatisch gefahrene Auto einen Unfall baut?) oder aber die Rolle des Vertriebs wurde in Frage gestellt (bei den einfachen Produkten braucht man den nicht mehr, es geht ja alles einfach übers Netz).
Gerade das Autofahren scheint die Digitalisierungsfantasien besonders sprießen zu lassen: So erklärte ein Manager der Provinzial Rheinland die Zukunft. Mit bunten Folien machte er deutlich, dass das etwa mit der Navigation einfacher wird, hier illustriert durch das Foto einer hübschen jungen Frau, die mit einer herkömmlichen Landkarte überfordert zu sein scheint. Oder auch dass zukünftig schlimme Unfälle vermieden werden könnten! Nun veranschaulicht durch einen kurzen Film-Spot, bei dem der Frontalunfall zweier junger, hübscher Damen durch die neue Technik verhindert wird*. Trotz aller Innovationen scheint zumindest das Frauenbild nicht hinterfragt zu werden.
Ein Referent aus der Welt jenseits der Versicherungswirtschaft machte heute auf dem GDV-Versicherungstag sehr konsequent eine Brainstoming-Übung mit den anwesenden Managern. Jeder sollte ein Digitalisierungsziel und eine Umsetzungsidee auf einen Zettel schreiben und daraus dann einen Papierflieger bauen. Auf Kommando warfen alle Vorstände ihre Papierflieger in die Luft um einen fremden Flieger zu fangen. Es ging darum, dieses fremde Digitalisierungsziel positiv zu kommentieren und es an den Sitznachbar weiterzugeben. Das hat Spaß gemacht.
Aber solche Spielchen sind ein Zeichen dafür, dass die Branche noch ganz am Anfang der Diskussion steht. Die Gefahr ist daher groß, dass die großen Vorreiter der Digitalisierung sich bald Versicherungs-Know-how einkaufen und dann das Geschäft übernehmen. Nur wenn es den Versicherern gelingt, sich in Sachen Digitalisierung fit zu machen, werden sie gegen diese Konkurrenz eine Chance haben. Ob Google und Co aus Verbrauchersicht die besseren Versicherer sind, darf man auch bezweifeln.
Ich habe auf meinem Papierflieger natürlich sehr kritische Forderungen zur Lebensversicherung notiert. Und, wie es der Zufall so will, hat einer meiner größten Widersacher im Lobbyverband just meinen Flieger abbekommen. Und auch wenn er Hauptlobbyist der Lebensversicherer ist, waren wir heute zumindest bei einem Vortrag einer Meinung, dass das ein richtig guter Vortrag war…
Denn der EU-Digitalisierungskommissar Günther Oettinger war als Redner geladen. Und anders als von manchen Gästen befürchtet, war seine Rede richtig gut, spritzig. Und sie hatte inhaltlich einiges zu bieten. Zum Ende seiner Rede gab er den Managern der deutschen Lebensversicherer noch etwas auf den Weg. Der Grundtenor: Sie sollten nicht immer nur an die niedrigen Zinsen und die hohen Garantieverpflichtungen denken. Sie sollten nicht vergessen, dass die Digitalisierung als Herausforderung längst aktuell ist. Ansonsten würden sie in den nächsten fünf Jahren von der neuen Konkurrenz abgehängt werden.
Mit geht dabei natürlich durch den Kopf, dass gerade die Lebensversicherer doch erst einmal ganz grundlegende Digitalisierungsprobleme lösen sollten. Zum Beispiel richtig rechnen! Das ist ja leider nicht selbstverständlich. Oder die Verträge transparent dem Kunden erklären und individuell vorrechnen! Leider ist das aber nicht zu erwarten.
Da wird es wahrscheinlich noch eher irgendwelche überflüssigen App-Versicherungen geben. Das einzige was daran positiv ist: So lange die Versicherer Digitalisierung als Vehikel begreifen, um unsinnige neue Tarife zu entwickeln, wird der BdV-Versicherungskäse immer einen Sieger haben. So wie dieses Jahr mit dem Allianz-Produkt „Rund um den Arena Besuch“.
PS: GDV-Chef Erdland hat uns Verbraucherschützer in seiner Rede ausdrücklich zum Dialog über die Digitalisierung eingeladen. Das nehmen wir natürlich gerne an.
PPS: Ceterum censeo occulta reserves esse recederem.
* Wichtiger Hinweis: Dieser Spot wurde vom GDV produziert und nicht von der Provinzial Rheinland.
Lieber Herr Hartmann,
vielen Dank für den Hinweis, dass hier nicht die Provinzial sondern wieder mal der GDV dieses konservative Frauenbild pflegt. Selbstverständlich werde ich zukünftig nicht mehr die Provinzial für diesen eigenartigen Werbeclip verantwortlich machen, denn „in errore perseverare stultum“ (auf den Irrtum zu beharren ist dumm).
Mit besten Grüßen
Axel Kleinlein