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Kleinleins Klartext

Von der Zukunft abgehängt

Von der Zukunft abgehängt

 28.10.2015  Kleinleins Klartext  0 Kommentare  Axel Kleinlein

Die Versicherungswirtschaft lebt hinter dem Mond. Das ist nichts Neues. Neuartige Entwicklungen, Techniken und moderne gesellschaftliche Strömungen ziehen meist geruhsam an der Versicherungswirtschaft vorbei. Manchmal schreckt sie aber dann doch aus ihrem Tran hoch und merkt, dass da irgendetwas ist. Dann gibt es einen kleinen Impuls von Aktionismus, meist war es das dann auch.

Zuweilen muss sich die Versicherungswirtschaft dann aber gezwungenermaßen mit neuen Themen auseinandersetzen. Da sind dann zum Beispiel Gesetze daran schuld. Oder die Kunden verhalten sich nicht mehr so wie in den letzten 30 Jahren. Oder die Märkte machen etwas ganz anderes als erwartet.

Manchmal entwickeln sich dann Modetrends, um diesen neuen Entwicklungen gerecht zu werden. So war zum Beispiel vor etwa 10 bis 15 Jahren ALM das große Thema. Das hatte nicht mit dem Deutschen Alpenverein zu tun (DAV), sondern mit dem aktuariellen Matching von „Assets“ und „Liabilities“, was von der Deutschen Aktuarvereinigung vorangetrieben wurde (auch DAV). Ziel ist es bei ALM, eine für das einzelne Unternehmen möglichst geschickte und passende Kapitalanlage zu wählen. Dieser Modetrend ist ein wenig in Vergessenheit geraten, weswegen die Versicherungswirtschaft es mal wieder verschlafen hat, an den tollen Entwicklungen an der Börse zu profitieren. ALM war eben mal ein Modetrend und ist es nicht mehr, wurde mittlerweile längst abgelöst.

Digitalisierung - der neue Hype

Aktuell ist nun „Digitalisierung“ der neue Hype. Sogar der Lobbyverband GDV nimmt sich dieses Themas an und hat mit dem Digital-Kommissar Günther Oettinger einen hochkarätigen Redner auf seinem diesjährigen Versicherungstag. „Digitalisierung“ elektrisiert auch in andern Kreisen der Branche die Gemüter. Egal ob bei Vertriebsverbänden oder den Fortbildungsangeboten der einschlägigen Bildungsinstitute.

Hinter der Idee der „Digitalisierung“ steckt das hoch gegriffene und hehre Ziel, irgendwann einmal die Branche in Sachen Informationstechnologie so richtig fit zu machen. Es wäre ja toll, wenn die Unternehmen einmal mit Fug und Recht behaupten könnten, dass sie im 21. Jahrhundert angekommen seien! Dass sie sich dann auch nicht mehr verrechnen und auf Knopfdruck alle Daten hätten! Im Moment ist das aber noch Science-Fiction. „Beam me up. Scotty“ ist ähnlich schnell zu erwarten, wie eine deutsche Lebensversicherungsbranche, die ihre IT-Probleme im Griff hat.

Die Versicherer machen sich das Leben in Sachen Digitalisierung ja selbst außerordentlich schwer. Hintergrund ist die unsägliche Vielfalt an unterschiedlichen Tarifen. Während in anderen Branchen der Wechsel von einem alten Produkt zu einer neuen Produktgeneration recht einfach von statten geht, ist das bei den Lebensversicherern gänzlich anders. Ein Autohersteller bietet dann eben nur noch die neuen Wagen an und muss für die alten vielleicht gerade mal noch ein paar Ersatzteile vorhalten. Das macht nicht so viel Aufwand.

Jeder neue Tarif muss gerechnet und programmiert werden

Ein Lebensversicherer muss bei einem neuen Tarif alles neu rechnen, programmieren und implementieren. Die alten Tarife müssen aber gleichermaßen weiterhin geführt werden! Denn da gibt es ja immer noch Kunden, die Geld einzahlen (das muss gebucht werden). Ihre Verträge laufen und es bestehen Ansprüche auf Leistungen (die dann errechnet werden müssen) und ihre Versicherungsbedingungen müssen ebenfalls vorgehalten werden (die irgendwie abgelegt sein müssen).

Jedes Mal, wenn ein Versicherer einen neuen Tarif auflegt, muss also die gesamte interne Organisation um genau diesen Tarif erweitert werden. Und fusionieren zwei Unternehmen oder werden einzelne Bestände aufgekauft, gilt natürlich das gleiche.

Es dauert sehr, sehr lange bis ein alter Tarif einmal endgültig aus den IT-Systemen verschwindet. Nämlich genau dann, wenn der letzte Kunde mit einem solchen Tarif tot ist oder gekündigt hat. Das dauert viele Jahrzehnte, so lange muss das Unternehmen den Rechenkern, die IT, die Bedingungen und alles andere für diesen Tarif vorhalten.
Für jeden Tarif, den ein Versicherer heute neu auflegt, müssen auch in 20, 50 und 70 Jahren Mathematiker vorgehalten werden, die dann diesen Tarif beherrschen. Sie müssen dann den heute programmierten Code verstehen oder in neue Programme überführen. Die Rechenkerne müssen auch dann noch immer sauber laufen, wenn sich womöglich nur noch eine Handvoll Kunden im Tarif befinden.

In den letzten 15 Jahren sind mehr Tarife entwickelt worden als in den 150 Jahren zuvor. Und der Irrsinn an vermeintlich notwendigen neuen Tarifen hört ja nicht auf! Deswegen ist es richtig, dass die Branche sich endlich etwas intensiver mit „Digitalisierung“ beschäftigt. Es wäre aber klüger gewesen, erst einmal darüber nachzudenken, bevor man sich die Probleme macht. Aber kein Mensch hat ja behauptet, dass die Manager in den Lebensversicherern besonders weitsichtig seien. Die Gier, stattdessen mit neuen Tarifen das schnelle Geschäft zu machen, ist da doch viel näher. Was kümmern die heutigen Vorstände die Probleme der zukünftigen Manager-Generationen!

PS: An einer Stelle scheint das aber doch so einigermaßen vernünftig mit der EDV zu klappen: Wenn sich der Verbraucher für einen Neuabschluss interessiert, dann klappt das anscheinend auch mit der Digitalisierung. Egal ob die Anfrage über den Laptop des Vermittlers, über eine Internetmaske oder geleitet durch einen Affiliated-Link an das Unternehmen geht – die Vertragsunterlagen kommen dann doch irgendwie beim Kunden an.


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