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Finanzprodukte sind eigentlich fast immer Wetten. Investiere ich zum Beispiel in einen Fonds, dann wette ich darauf, dass dessen Kurs steigt. Kaufe ich eine Anleihe von einem bestimmten Unternehmen, dann wette ich darauf, dass dieses Unternehmen nicht pleitegeht und brav die Zinsen überweist. Und bei Lebensversicherungen kommt zu diesen „Anlagewetten“ (die implizit auch in diesen Verträgen stecken) noch das versicherte Risiko als weitere Wette hinzu. Zum Beispiel, ob ich bei einem Rentenvertrag alt genug werde, damit er sich rentiert.
Was die Wetten bei all diesen Finanzinstrumenten gemeinsam haben: In der Erklärung wie das funktioniert und bei der Beschreibung der Wettregeln tauchen immer „Prozente“ auf. Da gibt es feste oder variable Prozentsätze, die dann wiederum auf durch Prozent definierte Anteile von irgendwelchen Summen bezogen werden. Zum Beispiel ist die Rede von 4 % - Garantieverzinsung auf den Sparanteil. Das klingt dann auf den ersten Blick verständlich. Ist es aber nicht. Denn Prozentrechnen liegt uns nicht im Blut.
Wir haben kein „Bauchgefühl“ für Prozentrechnung. Das glauben Sie mir nicht? Dann ein Beispiel für eine überraschende Wette, die auf Prozenten basiert.
Aber erst mal ganz einfach. Ich biete Ihnen an, dass wir um Geld spielen. Sie geben einen Einsatz – zum Beispiel hundert Euro – und dann wird eine Münze geworfen. Natürlich ist die Münze nicht gezinkt und die Chance für Kopf oder Zahl liegt bei genau 50 Prozent. Wenn Sie „Kopf“ werfen, dann lege ich zu dem Einsatz Geld hinzu, bei „Zahl“ darf ich etwas wegnehmen.
Jetzt gilt es festzulegen, über wie viel wir reden: Wenn ich bei „Kopf“ immer genauso viel hinzulegen soll wie ich bei „Zahl“ herausnehmen darf, dann ist es offensichtlich nur noch reines Glück, wer am Schluss gewinnt. Im Durchschnitt wird sich die auf dem Tisch liegende Summe immer rund um den ursprünglichen Einsatz bewegen.
Wenn wir aber vereinbaren, dass ich bei „Kopf“ immer 50 Euro hinzulegen muss, bei „Zahl“ aber nur 40 Euro herausnehmen darf, dann sieht das anders aus. Dann werde ich auf Dauer auf jeden Fall verlieren (wenn die Münze nicht gezinkt ist). Dann wären sie gut beraten, den Kleinlein zu schröpfen! Warum? Zur Hälfte aller Würfe muss ich 50 Euro draufzahlen, (das heißt, im Schnitt 25 Euro abgeben) und zur anderen Hälfte bekomme ich nur 40 Euro (das heißt, im Schnitt nur 20 Euro zurück). Unterm Strich ist also davon auszugehen, dass ich pro Wurf im Durchschnitt 5 Euro verliere und Sie gewinnen!
Und jetzt der Schritt zur Prozentrechnung mit neuen Wettregeln: Jetzt wird bei „Kopf“ die vorliegende Summe um 50 Prozent erhöht. Bei „Zahl“ darf ich nun 40 Prozent herausnehmen. Mit dem gleichen Gedankengang würde ich also bei der Hälfte aller Würfe 50 Prozent draufzahlen (das heißt, im Schnitt 25 Prozent abgeben) und bei der anderen Hälfte aller Würfe nur 40 Prozent zurückbekommen (das heißt, im Schnitt nur 20 Prozent zurück). Genauso wie vorher müsste ich ja dann im Durchschnitt pro Wurf 5 Prozent verlieren. Sie würden also auch hier automatisch gewinnen! Oder?
Gerne könnten wir dieses Spiel spielen! Und Sie würden merken, dass es anscheinend nicht mit rechten Dingen zugeht. Sie würden auf Dauer gnadenlos so ziemlich alles verlieren, was Sie eingesetzt haben. Überraschend? Ja! Und das liegt daran, dass wir bei Prozentrechnung kein richtiges Bauchgefühl haben. Denn mathematisch ist das etwas komplizierter.
Der Clou besteht darin, dass bei den neuen Wettregeln die Höhe des Geldes davon abhängig ist, was noch auf dem Tisch liegt. 50 Prozent von hundert Euro sind zufällig 50 Euro. Liegen auf dem Tisch aber nur 60 Euro, dann sind 50 Prozent nur noch 30 Euro. Deswegen ist bei dieser Wette die mathematische Beschreibung nicht einfach das Hinzuzählen oder Abziehen eines Betrags – was „Plus“ oder „Minus“ entspricht. Wenn es um die Prozent geht, dann muss aber multipliziert werden!
Wenn zum Beispiel die vorliegende Summe um 50 Prozent erhöht werden soll, dann wird das vorliegende Geld mit dem Faktor 1,5 multipliziert – das ist eben die mathematische Beschreibung für die Prozentrechnung. Der Abzug von 40 Prozent entspricht dann gerade dem Faktor 0,6. Erinnern Sie sich an den Mathematikunterricht? Dann sollte Ihnen das klar sein.
Und wenn nun wirklich zur Hälfte der Würfe „Zahl“ und „Kopf“ geworfen wird, dann wird genauso oft mit dem Faktor 1,5 multipliziert wie auch mit dem Faktor 0,6. Und jetzt ist aber:
1,5 x 0,6 = 0,9
Zwei Münzwürfe führen im Durchschnitt also zum Faktor 0,9! Und das bedeutet in der Prozentrechnung also nur noch 90 Prozent - beziehungsweise einem Verlust von 10 Prozent. Im Durchschnitt würden Sie also bei dieser Wette unaufhörlich ihren Einsatz verlieren.
Und hier zeigt sich das Problem mit der Prozentrechnung: Man kann seinem Bauchgefühl nicht vertrauen, wenn es um Prozent und Geld geht. Und das macht auch den Umgang mit Finanzprodukten so schwer.
Wenn dann zu den schwierig einzuschätzenden Unwägbarkeiten der normalen Zinsentwicklung auch noch die Besonderheiten einer Lebensversicherung hinzutreten, dann kann man mit einem „Bauchgefühl“ nicht mehr einschätzen, wie erfolgversprechend so ein Angebot eigentlich wirklich ist!
PS: Dieses Beispiel dieser „unfairen Wette“ habe ich einem spannenden Roman entnommen, „Gier“ von Marc Elsberg. Ein Katastrophenroman in dem auch Bänker, Versicherer und Mathematiker eine tragende Rolle spielen. Sehr spannend! Ich bin bisher nur zur Hälfte durch, deswegen…. bitte nicht spoilern!