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Versicherungen verstehen

Die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls - Ausgesuchte Einzelfälle zum Kürzungsrecht des Versicherers

Die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls - Ausgesuchte Einzelfälle zum Kürzungsrecht des Versicherers

 06.10.2016  Versicherungen verstehen  0 Kommentare  Heiko Gaußmann

Wer die Merkblätter des Bund der Versicherten (BdV) zu den Sachversicherungssparten (Hausrat, Wohngebäude) aufmerksam liest, der findet stets den Hinweis, dass Versicherte bei der Wahl eines geeigneten Tarifs darauf achten mögen, dass der Versicherer bedingungsgemäß auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit verzichten soll.

© zonyajeffrey / Pixabay

Doch was genau heißt das eigentlich und warum ist das so wichtig?

Der Gesetzgeber gesteht den Versicherern das Recht zu, die Versicherungsleistung zu kürzen oder gar vollständig zu verweigern, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall herbeigeführt hat.


§ 81 VVG Herbeiführung des Versicherungsfalles

(1) Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt.

(2) Führt der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbei, ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen.


Je nach Schwere des Verschuldens besteht vollständige Leistungsfreiheit oder ein quotales Leistungskürzungsrecht. Der Gesetzgeber kennt also (mindestens) drei Verschuldensgrade: Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit und (einfache) Fahrlässigkeit. Der Abgrenzung zwischen den Verschuldensgraden kommt in der Praxis maßgebliche Bedeutung zu, weil der Versicherer je nach Schwere des Verschuldens andere Rechte hat.

Vorsatz ist „Wissen und Wollen“
Unter Vorsatz verstehen Juristen „mit Wissen und Wollen“. Der Versicherungsnehmer muss die für den Eintritt des Versicherungsfalles maßgeblichen Tatsachen gekannt haben und er muss den Eintritt zumindest billigend in Kauf genommen haben. Dies beschreiben Juristen als „Eventualvorsatz“. Eine schärfere Form des „Wollens“ wäre zum Beispiel die Absichtlichkeit. Wer seine Wohnung vorsätzlich oder gar absichtlich in Brand setzt, soll keine Leistungen aus der Feuerversicherung beanspruchen dürfen. Das leuchtet sicherlich ein.

Fahrlässigkeit
Wurde die Wohnung allerdings nicht vorsätzlich, sondern nur grob fahrlässig in Brand gesetzt, ist nach der gesetzgeberischen Intention der Versicherer nicht komplett leistungsfrei. Er darf die Leistung aus der Feuerversicherung entsprechend der Schwere des Verschuldens kürzen.

Auch der Fahrlässigkeitsbegriff kennt das Wissenselement, denn auch hier hat der Versicherungsnehmer die drohende Verwirklichung der Gefahr erkannt. Allerdings wollte der Versicherungsnehmer nicht, dass der Versicherungsfall eintritt. Vielmehr ging er davon aus, dass schon „alles gut gehen werde“.

Was ist grobe Fahrlässigkeit?
Diese Frage kann der Bundesgerichtshof beantworten: „Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.“

Und wo liegt die Grenze zur (einfachen) Fahrlässigkeit? Die Unterscheidung ist nicht nur rein akademisch. Denn bei einfacher Fahrlässigkeit bleibt der Versicherer vollumfänglich zur Leistung verpflichtet.

Damit noch nicht genug: steht fest, dass der Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt wurde, beträgt die Kürzungsquote nicht immer pauschal 50 Prozent. Vielmehr obliegt es der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall, die „richtige“ Kürzungsquote zu ermitteln. In der Rechtsliteratur wird sogar vertreten, dass trotz (nur) grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles in Einzelfällen eine „Kürzung“ um 100 Prozent möglich sein soll.

Die Abgrenzungen und Wertungen sind in der Praxis sehr schwierig und sollen daher anhand von einigen Rechtsprechungs-Beispielen plastisch veranschaulicht werden.

Leitungswasserschaden durch Wasch- oder Spülmaschine
In der Wohngebäude- und Hausratversicherung ist der Leitungswasserschaden aus Zu- und Ableitungsrohren versichert. Moderne Waschmaschinen sind mit einer Schutzvorrichtung versehen, die das unkontrollierte Auslaufen von Wasser aus dem Hahn verhindern soll („Aquastop“). Wer eine solche Vorrichtung nicht installiert hat und die Wohnung verlässt, ohne den Wasserhahn zu schließen, handelt grob fahrlässig (LG Frankfurt, Urt. v. 8.9.1998 – Az. 2/26 O 285/97; OLG Oldenburg, Urt. v. 5.5.2004 – Az. 3 U 6/04; LG Osnabrück, Urt. v. 20.4.2012 – Az. 9 O 762/10: Kürzung um 70 Prozent).

Differenzierungen sind denkbar, je nachdem ob der Versicherungsnehmer die Wohnung nur für zwei bis drei Stunden oder über das gesamte Wochenende verlässt.

Nicht grob fahrlässig soll es sein, wenn der Versicherungsnehmer seine Wasch- oder Spülmaschine anstellt und sich schlafen legt, ohne das Ende des Wasch- oder Spülganges abzuwarten (AG Köln, Urt. v. 23.5.2006 – Az. 144 C 41/06).

Wohnungseinbruchdiebstahl
In der Hausratversicherung ist der Wohnungseinbruchdiebstahl versichert. Grob fahrlässig soll es sein, beim Verlassen der Wohnung die Wohnungseingangstür nur zuzuziehen, ohne sie zu verschließen (OLG Köln, Beschluss v. 14.2.2008 – Az. 9 U 148/07; LG Koblenz, Urt. v. 23.12.2005 – Az. 16 O 150/04289). Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn die Wohnung für mehrere Stunden oder gar über das ganze Wochenende verlassen wird. Anders wird man es beurteilen müssen, wenn der Versicherungsnehmer nur kurz die Wohnung verlässt, um den Briefkasten zu leeren oder den Müll hinauszubringen.

Wohnt man im Erdgeschoss, sollte man tunlichst beim Verlassen der Wohnung auch nicht die Fenster „auf Kipp“ stehen lassen. Für grob fahrlässig hält es das OLG Celle, wenn man in diesem Fall die Wohnung für die halbe Nacht verlässt und das gekippte Fenster leicht zugänglich und auch noch schwer einsehbar ist (Urt. v. 10.6.1992 – Az. 8 U 164/91; ähnlich: OLG Oldenburg, Urt. v. 20.3.1996 – Az. 2 U 12/96 sowie LG Düsseldorf, Urt. v. 14.5.2007 – Az. 11 O 205/06).

Aber auch wer im ersten Stock wohnt, sollte Fenster und Türen vor dem längeren Verlassen der Wohnung verschließen. Steigt ein Einbrecher über den Balkon in die Wohnung ein und hebelt dabei die gekippte Balkontür auf, so soll dies grob fahrlässig vom Versicherungsnehmer gewesen sein (LG Hamburg, Urt. v. 25.8.1988 – Az. 73 O 165/88).

Lagern Sie besser auch keine wertvollen Gegenstände in dem zu Ihrer Mietwohnung gehörenden Kellerabteil. Ist das Kellerabteil in diesem Fall nur durch einen genagelten Bretterverschlag gesichert und haben die Bretter einen Abstand, der die wertvollen Gegenstände von außen erkennen lässt, handeln Sie grob fahrlässig (LG Berlin, Urt. v. 5.12.2012 – Az. 23 O 438/11; ähnlich LG Kassel, Urt. v. 18.12.2007 – Az. 8 O 1103/07).

Wohnungsbrand
Mögen Sie den wohligen Schein einer oder mehrerer brennender Kerzen in Ihrer Wohnung? Verlassen Sie dann keinesfalls die Wohnung und lassen Sie die Kerzen unbeaufsichtigt zurück und zwar weder, um mit Ihrem Hund in den Garten zu gehen, weil dieser „angeschlagen“ hat (LG Zwickau, Urt. v. 13. 8. 2004 – Az. 3 O 911/03), noch um mit dem Nachbarn für 15 Minuten zu sprechen (OLG Hamburg, Urt. v. 5.5.1993 – Az. 5 U 231/92). Selbst das Schlafenlegen nach Alkoholkonsum auf dem Sofa im selben Raum soll grob fahrlässig sein (OLG Köln, Beschluss v. 19.11.2009 – Az. 9 U 113/09).

Keine gute Idee ist es ferner, den Raum bei brennenden Kerzen zu verlassen, wenn sich darin noch die Hauskatze befindet (AG St. Goar, Urt. v. 13.11.1997 – Az. 3 C 278/97).

Abschließend habe ich noch eine gute Nachricht für alle, die an Weihnachten „echte“ Kerzen am Tannenbaum abbrennen lassen möchten: Sie müssen weder Feuerlöscher, noch Löscheimer noch Löschdecken in unmittelbarer Nähe bereithalten (LG Oldenburg, Urt. v. 8.7.2011 – Az. 13 O 3296/10) und zwar selbst dann nicht, wenn die Tanne schon deutlich trockener ist als ein frisch geschlagener Baum.

Bedingungsgemäßer Verzicht auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit
Wer sich entsprechende Auseinandersetzungen mit seinem Versicherer ersparen möchte und vor allem nicht auf einem Teil seines Schadens sitzen bleiben möchte, sollte daher unbedingt darauf achten, dass der Versicherer auf den sog. Einwand der groben Fahrlässigkeit verzichtet. Auch hier gibt es Unterschiede im Detail. Bestenfalls verzichtet der Versicherer bis zu 100 Prozent der Versicherungssumme auf sein Kürzungsrecht und nimmt auch keine weiteren Einschränkungen vor. Einige Versicherer wollen zwar auf den Einwand der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles verzichten, nehmen hiervon aber bestimmte Fälle wieder aus wie: Rauchen im Bett, unbeaufsichtigtes Brennenlassen von Kerzen oder das Nichtverschließen von Türen. Kommt Ihnen das bekannt vor? Lassen Sie solche Tarife links liegen.

Der BdV hilft seinen Mitgliedern bei der Auswahl des geeigneten Tarifs gerne weiter.


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