Wir geben Einblicke in die Versicherungswelt - von A wie Altersvorsorge bis Z wie Zinszusatzreserve.
Sie haben eine Frage oder Anregungen zum BdV-Blog? Dann nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf!
Das Thüringer Oberlandesgericht in Jena (Az. 4 U 756/15) bestätigt ein fatales erstinstanzliches Urteil des Landgerichtes Gera: Eine Aufrechnung mit Beitragsforderungen gegen Erstattungsansprüche sei auch im Notlagentarif zulässig.
Mittlerweile ist dieses Urteil zu Lasten der Privatversicherten im Notlagentarif rechtskräftig, da keine Revision eingelegt wurde. Die dringend erforderliche höchstrichterliche Klärung dieser äußerst umstrittenen Frage durch den Bundesgerichtshof (BGH) bleibt daher weiterhin aus.
Das OLG Jena vertritt die Rechtsauffassung, dass ein privater Krankenversicherer mangels eines Aufrechnungsverbots auch gegenüber Versicherten im Notlagentarif berechtigt sei, mit seinen Beitragsforderungen gegen die fälligen Erstattungsansprüche des Versicherten aufzurechnen. Der Erstattungsanspruch des Versicherten auf Behandlungskosten erlösche immer dann, wenn der Versicherer mit den Beitragsrückständen des Versicherungsnehmers (VN) die Aufrechnung erklärt habe.
Die Thüringer Richter begründen das damit, dass ein generelles gesetzliches Aufrechnungsverbot im Rahmen der privaten Krankenversicherung nicht bestehe. Vielmehr folge aus der Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuches (§ 394 Satz 2 BGB) und auch aus denen des Versicherungsvertragsgesetzes (§ 35 VVG) ausdrücklich die Möglichkeit einer Aufrechnung mit Beitragsrückständen. Bei der Einführung des Notlagentarifs zum 1. August 2013 sei ein Aufrechnungsverbot durch den Gesetzgeber nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt worden. Weder § 193 VVG, der die Pflicht zur Krankenversicherung normiert, noch der § 193 Absatz 7 VVG in Verbindung mit § 153 VAG (§ 12h VAG a. F.) sehen eine entsprechende Regelung vor.
Auch aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschriften zum Notlagentarif folge kein Aufrechnungsverbot, so das OLG Jena. Denn im Gesetz findet das Argument der Befürworter eines Aufrechnungsverbots keinen Rückhalt. Diese argumentieren damit, dass der Versicherte im Notlagentarif als schutzbedürftig anzusehen sei, um seine Notfallversorgung sicherzustellen – was bei Zulässigkeit einer Aufrechnung verhindert werde. Der Notlagentarif sei nach Meinung des OLG Jena schon deshalb kein Tarif für finanziell Hilfebedürftige im Sinne des Sozialrechts (nach SGB II oder SGB XII), weil in einem solchen Fall der Notlagentarif gemäß § 193 Absatz 6 Satz 5 VVG gar nicht einschlägig sei.
Denn dann ruht der bisherige Vertrag nicht, vielmehr erfolgt „lediglich“ in der Regel eine Umstellung in den Basistarif. Insofern handelt es sich nach Auffassung des Jenaer Senats um einen „Nichtzahlertarif“. Bereits durch § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG werde die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes sichergestellt, da jede Kündigung einer Krankheitskostenvollversicherung, die die Krankenversicherungspflicht gemäß § 193 Absatz 3 Satz 1 VG erfüllt, ausdrücklich ausgeschlossen ist.
Dieses rechtskräftige Urteil der Thüringer Richter ist ein „Angriff“ gegen den Schutz des Verbrauchers und führt den Sinn und Zweck des Gesetzes völlig ad absurdum.
Der Senat führt zwar in seinem Urteil die namhaften Stimmen im Schrifttum zu dieser höchst umstrittenen Frage des Aufrechnungsverbotes auf, setzt sich aber mit deren Argumenten nur höchst eingeschränkt auseinander. Sein Augenmerk richtet sich hauptsächlich darauf, Argumente gegen ein Aufrechnungsverbot darzustellen. Man wird den Eindruck nicht los, dass das „Ergebnis“ des Urteils bereits von vornherein feststand. Im Strafprozess würde man sagen: die Staatsanwaltschaft hat primär Belastendes gegen den Angeklagten zusammengetragen, aber kaum Entlastendes.
Das Urteil liest sich „wie eine Gebrauchsanweisung“ für die Versicherungswirtschaft, wie diese mit den vermeintlich ungeliebten Versicherten im Notlagentarif verfahren sollte, ohne Leistungen für sie erbringen zu müssen.
Dies erstaunt insbesondere deshalb, weil namhafte Vertreter privater Krankenversicherer, wie z. B. Dr. Volker Marko von der Allianz (in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl., § 193, Rn. 82) ein Aufrechnungsverbot zugunsten der Versicherten im Notlagentarif befürworten. Nach unserer Kenntnis vertritt auch der PKV-Verband diese Ansicht.
Der BdV spricht sich ausdrücklich für ein Aufrechnungsverbot aus. Wir schließen uns daher den vollkommen zutreffenden Ausführungen Markos an, die den Kern beschreiben: „Sinn und Zweck der Leistungen im Notlagentarif ist der von der Beitragszahlung unabhängige Erhalt eines Mindestmaßes an Versorgung für den VN. Eine Verrechnung von Beitragsforderungen mit diesen „Notfallleistungen“ würde dem zuwiderlaufen und im Ergebnis dazu führen, dass der VN diese Notfallleistungen faktisch selbst finanzieren muss. Eine Aufrechnung von Leistungsansprüchen mit Beitragsforderungen ist daher unzulässig“ (Marko a.a.O).
Die ausführliche Argumentationslinie des BdV, die für ein Aufrechnungsverbot streitet, finden Sie im Blogbeitrag vom 07.04.2016. Hier können Sie weiterlesen:
Insofern appelliert der BdV an den PKV-Verband, seine bisherige Linie zugunsten des Verbrauchers nicht zu verlassen und sich weiterhin für ein Aufrechnungsverbot bei seinen Mitgliedsunternehmen stark zu machen.
Auch fordern wir die PKV-Unternehmen auf, sich an der Leitlinie des PKV-Verbandes ein Beispiel zu nehmen und nicht davon abzuweichen, wie der klagende PKV-Versicherer in dem hier zugrundeliegenden Fall.
Wir fordern den Gesetzgeber ausdrücklich auf, sehr kurzfristig eine gesetzliche Regelung im VVG zu verankern, die ein Aufrechnungsverbot statuiert.
Ausgehend von der Auffassung der Allianz zählen wir auch auf eine Unterstützung vom PKV-Verband.