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Versicherungen verstehen

Ist eine Verletzung durch Eigenbewegung ein versichertes Unfallereignis im Sinne der privaten Unfallversicherung?

Ist eine Verletzung durch Eigenbewegung ein versichertes Unfallereignis im Sinne der privaten Unfallversicherung?

 13.05.2019  Versicherungen verstehen  0 Kommentare  Jens Trittmacher

Beachtliche Schwierigkeiten macht in der privaten Unfallversicherung die Beurteilung von Geschehen, an denen nur die versicherte Person allein beteiligt war und bei denen es an einer von außen kommenden Körpereinwirkung fehlt.

© PixelAnarchy / Pixabay

Knickt eine Person wegen einer Bodenunebenheit, beim Fußballspielen oder beim Aussteigen aus dem Auto, mit dem Fuß um, fehlt es an einer von außen kommenden Körpereinwirkung, wenn man nicht in solchen Fällen den willentlichen Kontakt mit dem Erdboden als eine solche ansehen will. Jedoch müsste dann in diesen Fällen ein Unfallereignis verneint werden. Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird aber ein Umknicken des Fußes auf unebenem Untergrund als „Unfall“ angesehen. Daher liegt hier das Bejahen von Versicherungsschutz nahe. Insofern hat die Rechtsprechung für die Beurteilung von Gesundheitsschädigungen durch Eigenbewegungen Sonderregeln entwickelt. Es geht hier um eine durch Normzweck und Interessenlage gebotene analoge Anwendung des § 178 Abs. 2 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) auf Fälle, die vom Wortlaut der Vorschrift nicht mehr gedeckt werden.

„(2) Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet...“

Am Anfang steht hier der Gedanke: Eine von außen kommende Körpereinwirkung setzt keineswegs die Beteiligung einer anderen Person voraus. Eine solche Einwirkung kann auch von der versicherten Person selbst ausgehen. Das kann z. B. wie folgt passieren: Diese Person führt ungewollt die Einwirkung herbei oder nimmt sie sogar bewusst vor – wie beim Abschlag des Torhüters das Aufeinandertreffen von Fuß und Ball – aber auch in den Fällen, in denen jemand zwecks Vornahme autoerotischer Manipulationen durch Strangulation seine Luftröhre verengt. Das gilt erst recht, wenn eine Sache, mit welcher die versicherte Person umgeht, außer Kontrolle gerät und aufgrund ihrer Eigendynamik auf den Körper einwirkt – beispielweise in diesen Fällen: Das von zwei Personen angehobene Motorrad gerät wegen ungleicher Kraftanstrengung aus dem Gleichgewicht und die versicherten Personen erleiden beim Auffangen der Kippbewegung z. B. eine Kompressionsfraktur.

Erfolgt hingegen keine Einwirkung von außen, sondern erleiden versicherte Personen einen Gesundheitsschaden während einer üblichen Eigenbewegung, die allein auf eigenem, willensgesteuertem (wenn auch möglicherweise ungeschicktem) Verhalten beruht, werden die Voraussetzungen des Unfallbegriffs nicht erfüllt. Die Rechtsprechung bejaht aber dann den Versicherungsschutz, wenn die Eigenbewegung nicht programmgemäß und regulär verläuft und dadurch ein Gesundheitsschaden verursacht wird. Außerdem wird der Versicherungsschutz in den meisten Bedingungswerken auf bestimmte Eigenbewegungen – wie Verrenkung eines Gelenks, Zerrung und Zerreißen von Muskeln, Sehnen, Bändern und Kapseln – ausgedehnt.

Eine nicht versicherte Eigenbewegung liegt z. B. dann vor, wenn eine versicherte Person durch

  • Anheben eines schweren Gegenstandes einen Bandscheibenvorfall, eine Rotatorenmanschettenruptur oder durch Umbetten eines Kranken ein Verhebetrauma erleidet.
  • Dies gilt ebenfalls, wenn ein Bandscheibenvorfall beim Ansetzen eines Spatens eintritt oder durch den Versuch einen Strauch aus dem Boden zu ziehen. 
  • Gleiches gilt, wenn ein Tennisspieler aufgrund einer Fehlbewegung mit dem Fuß umknickt oder sich streckt, um einen Ball zurückzuschlagen, oder auch wenn jemand aus kniender Stellung aufsteht und einen Meniskusriss erleidet. 
  • Aber auch Körperschäden, die durch tanztypische Schritte und Drehungen oder einen schnellen Antritt, etwa beim Squashspiel, verursacht werden, beruhen auf willensgesteuertem Eigenverhalten.

„Irreguläre Verläufe“ wurden dagegen beispielsweise angenommen und damit das Vorliegen eines Unfalls bejaht: Eine Person rutscht auf nassem oder glattem Untergrund aus oder knickt an einer Bordsteinkante oder wegen einer Bodenvertiefung oder Bodenunebenheit mit dem Fuß um (nicht aber beim Umknicken eines Fußes auf normalem Boden). Ebenfalls wurde das Vorliegen eines Unfalls angenommen, wenn ein Tritt in eine Vertiefung zu einer unerwarteten Ausweichbewegung mit nachfolgendem Straucheln führt, wenn ein Handballspieler an einem stumpfen Hallenboden hängen bleibt und auch wenn ein herauszureißendes Kabel nachgibt und der Betreffende dadurch stürzt.

Aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe

Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe äußerte sich am 20.12.2018 zur Abgrenzung zwischen einem versicherten Unfallereignis und einer nicht unter den Versicherungsschutz fallenden Verletzung durch Eigenbewegung an oder mit einem Gegenstand (Az. 12 U 106/18). Diesem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger, der beruflich als Monteur/Rohrleitungsbauer tätig ist, macht aus seinem privaten Unfallversicherungsvertrag, gegen das beklagte Versicherungsunternehmen, Ansprüche auf Invaliditätsleistung, im Zusammenhang mit einer auf einer Baustelle erlittenen Verletzung, geltend. Weil er ein Werkzeug brauchte, drehte er sich um und drehte seinen Oberkörper nach rechts, um nach dem Werkzeug zu greifen. Währenddessen befand sich sein linkes Knie bei Arbeiten in einem Brennofen in einer Schiene. Dadurch erlitt er eine dauerhafte Meniskusverletzung, die zu einer Invalidität führte.

Rechtliche Beurteilung des OLG Karlsruhe

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsleistung, weil die von ihm geltend gemachte Invalidität nicht auf einen Unfall gemäß der vereinbarten Versicherungsbedingungen beruht.

Eine durch Eigenbewegung verursachte Verletzung ist kein versichertes Unfallereignis

Legt man die von den Oberlandesgerichten und dem BGH entwickelten Grundsätze zugrunde, die bei Eigenbewegungen der Versicherungsnehmer*innen und bei Arbeiten an oder mit einem Gegenstand anzuwenden sind, liegt kein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis vor. Die vom Kläger bei Arbeiten in einem Brennofen durchgeführte und von seinem Willen getragene sowie gesteuerte Eigenbewegung – hier das Umdrehen des Oberkörpers, um ein benötigtes Werkzeug zu ergreifen – ist gezielt, planmäßig und für ihn durchgängig beherrschbar verlaufen. Darin liegt keine unerwartete Ausweichbewegung.

Außer Acht bleibt die Einschränkung durch die Schiene. Denn diese Beschränkung stellt keinen hinzutretenden irregulären Zustand der Außenwelt dar. Die Schiene war von Anfang so vorhanden und ist bewusst in dieser Form vom Kläger genutzt worden. Deshalb hat sie auch nicht die notwendige unerwartete Eigendynamik entfaltet, die so auf den Körper des Klägers einwirkte, dass dieser stürzte, umknickte oder abglitt und die von ihm hätte abgefangen bzw. abgestützt werden müssen. Die Schiene ist also mangels solcher Eigendynamik ausschließlich Objekt von Bemühungen geblieben.

In diesem Fall sind nicht – wie für das Vorliegen des Unfallversicherungsschutzes erforderlich gewesen wäre – Eigenbewegung (z. B. Laufen) und äußere Einwirkung (z. B. ins Wackeln geratene Last) so zusammengetroffen, dass die hinzutretende äußere Einwirkung ihrerseits Einfluss auf die veränderte und nicht mehr beherrschbare Eigenbewegung (z. B. Straucheln infolge eines Fehltritts) genommen hat. Die Eigenbewegung – das Umdrehen – erfolgte lediglich unter Ausnutzung der bereits existierenden unveränderten äußeren Rahmenbedingungen. Die Schiene hat ihrerseits keinen Einfluss auf die – unveränderte und weiterhin beherrschbare – Eigenbewegung genommen. Sie führte nur aufgrund des ungeschickten Verhaltens des Klägers zur seiner Meniskusverletzung. Die Schiene hat nicht auf den Kläger, sondern er hat durch die Drehbewegung auf sie eingewirkt.

Insofern erfuhr das Umdrehen als willensgesteuerte Bewegung des Klägers keine andere Richtung und wurde auch nicht irregulär unterbrochen. Dass letztlich mit der Schädigung des Meniskus ein unerwünschtes Ergebnis eintrat, begründet nur die bedingungsgemäß weiter erforderliche Unfreiwilligkeit. Dieser Umstand ändert aber nichts daran, dass es sich hier um einen auf Grund einer ungeschickten, aber gewollten und planmäßig verlaufenen Eigenbewegung erlittenen Schaden handelt.

Auch keine erhöhte Kraftanstrengung

Der Kläger kann sich zudem hinsichtlich der Meniskusverletzung nicht erfolgreich auf die Kraftanstrengungsklausel in den Versicherungsbedingungen berufen, wonach ein Unfall auch dann vorliegt, „wenn die versicherte Person durch eine erhöhte Kraftanstrengung ein Gelenk verrenkt bzw. Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder gerissen werden.“ Denn eine erhöhte Kraftanstrengung im Sinne dieser Klausel erfordert einen Einsatz an Muskelkraft, der über diejenigen Anstrengungen hinausgeht, welche üblicherweise bei alltäglicher körperlicher Tätigkeit für den Bewegungsablauf erforderlich sind. Hieran fehlt es im Klägervortrag. Er hat lediglich eine normale Eigenbewegung beschrieben, so dass nur von der hierzu notwendigen Kraftanstrengung auszugehen ist und eben nicht einer erhöhten.

Ferner kommt hinzu: Meniskusverletzungen werden von der Erweiterung des Unfallbegriffs nicht umfasst, weil es sich hier um Knorpelschäden und nicht um eine Verletzung der aufgeführten Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln handelt.
Möchten Sie das Urteil des OLG Karlsruhe im Wortlaut lesen, dann finden Sie es hier.

Praxistipps für die Verbraucher*innen

Maßgebend für ein unter den Versicherungsschutz fallendes Unfallereignis ist im Zusammenhang mit Eigenbewegungen der Versicherungsnehmer*innen, dass der „normale“ Ablauf oder Abschluss der Eigenbewegungen von außen irregulär beeinflusst wurde, wie z. B. beim Tritt in eine Vertiefung neben dem Plattenweg (BGH, Urt. v. 28.01.2009, Az. IV ZR 6/08 - Leitsatzentscheidung). Verletzungen, die bei der Arbeit mit oder an einem Gegenstand erlittenen werden, beruhen nicht auf einem versicherten Unfallereignis, soweit dieser Gegenstand ausschließlich Objekt von Bemühungen bleibt, also keine unvorhergesehene Eigendynamik entwickelt. Ein Gegenstand ist dann nicht mehr nur Objekt von Bemühungen, wenn dieser aus dem Gleichgewicht zu geraten oder umzustürzen droht und beim Gegensteuern der Versicherungsnehmer*innen deren Gesundheitsschädigung nach sich zieht, so der BGH.

Ein guter Unfallversicherungsvertrag hat u. a. auch dieses K. o.-Kriterium zu erfüllen:

Als Unfall gelten auch Gesundheitsschäden, die durch Verrenkungen, Zerrungen und Zerreißungen sowie Bauch-, Unterleibs- und Knochenbrüche durch Eigenbewegung oder erhöhte Kraftanstrengung verursacht wurden.

Welche Punkte Sie bei der Auswahl und Überprüfung eines Unfallversicherungsvertrages berücksichtigen sollten, welche weiteren K. o.-Kriterien ein solcher Vertrag zu erfüllen hat und welche Kriterien je nach persönlicher Lebensführung sinnvoll sind, erfahren Sie hier im Infoblatt – Unfallversicherung des BdV .


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