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Versicherungen verstehen

Lichtblick für Privatversicherte im Notlagentarif

Lichtblick für Privatversicherte im Notlagentarif

 26.05.2017  Versicherungen verstehen  0 Kommentare  Jens Trittmacher

Das Oberlandesgericht Hamm (Az. 20 U 235/15) hat ein verbraucherfreundliches Urteil zugunsten der im Notlagentarif-Versicherten gesprochen. Diese erst kürzlich bekannt gewordene Entscheidung ist sehr bemerkenswert: Sie steht im genauen Gegensatz zur Rechtsauffassung des Thüringer Oberlandesgerichts und des LG Gera, über die hier schon berichtet wurde.

© Robert Zunikoff / Pixabay

Kernbotschaft und Leitsatz der Richter des OLG Hamm ist: „Eine Aufrechnung mit rückständigen Beiträgen ist im Notlagentarif ausgeschlossen“. Dieses Urteil ist rechtskräftig. Bei der Entscheidung ging es um folgenden Sachverhalt: Ein Versicherter hatte so große Beitragsrückstände, dass der Versicherer den Vertrag fortan im Notlagentarif führte. Der Versicherte reichte dann ärztliche Rechnungen beim Versicherer zur Erstattung ein. Der Versicherer nahm jedoch keine Erstattung der Leistungen vor und zahlte die Rechnungsbeträge nicht aus. Stattdessen verrechnete der Versicherer diese Beträge mit den Beitragsrückständen (siehe auch die Blogbeiträge "Gericht führt PKV-Notlagentarif ad absudrum" und "Harter Schlag für Privatversicherte im Notlagentarif").

Aus Sicht des BdV widerspricht dies dem Sinn und Zweck des Notlagentarifs, der ja gerade für diejenigen Versicherten eingeführt wurde, die in einer finanziellen Notlage sind und daher darauf angewiesen sind, dass die Rechnungen vom Versicherer erstattet werden.

Das OLG Hamm vertritt in seinem Urteil die gleiche Ansicht wie der BdV (Unsere ausführliche Argumentation für ein Aufrechnungsverbot finden Sie hier) und weitere namhafte Stimmen in der Rechtsliteratur (wie z. B. von Dr. Volker Marko (Allianz) in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl., § 193, Rn. 82), die sich für ein Aufrechnungsverbot aussprechen.

Jedoch ist immer noch eine höchstrichterliche Klärung dieser umstrittenen Frage durch den Bundesgerichtshof (BGH) erforderlich, da weiterhin keine Klarheit besteht. Denn nur, wenn der jeweilige Krankenversicherer sich der Auffassung des OLG Hamm anschließt, bekommt der Notlagentarif-Versicherte seine Behandlungskosten auf alle Fälle erstattet. Ansonsten müsste er sich einer gerichtlichen Auseinandersetzung stellen, deren Ausgang ungewiss ist und zu seinen Lasten ausgehen kann – und in Thüringen vermutlich so ausgehen wird.

Ein Aufrechnungsverbot ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt

Das OLG Hamm begründet seine Auffassung im Kern wie folgt:

Ein Aufrechnungsverbot ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Jedoch ergibt sich dieses aus Sinn und Zweck der einschlägigen gesetzlichen Regelungen im Versicherungsvertragsgesetz (vgl. § 193 Absatz 6 und 7 VVG).

Denn der Notlagentarif soll dem Versicherungsnehmer trotz seiner bestehenden Beitragsrückstände mindestens einen Grundversicherungsschutz im Krankheitsfall bieten. Dieser Schutz wäre vollkommen in Frage gestellt, wenn der Krankenversicherer die Leistungsansprüche mit den Beitragsrückständen des Versicherungsnehmers aufrechnen könnte. Dadurch würde der Versicherer finanziell bedürftigen Versicherten die Möglichkeit nehmen, weitere ärztliche Leistungen in Anspruch zu nehmen, insbesondere wenn diese medizinisch geboten wären. Der Bedürftige müsste solche Behandlungen aus eigener Tasche zahlen, was ihm regelmäßig aber nicht möglich ist.

Nach Auffassung des OLG Hamm steht einem Aufrechnungsverbot auch nicht entgegen, „dass zahlungsunfähige Versicherungsnehmer bei nachgewiesener Hilfsbedürftigkeit im Sinne des SGB II und XII“ gemäß der Regelung des Versicherungsvertragsgesetzes (§ 193 Absatz 6 Satz VVG) „(wieder) auf Kosten des zuständigen Sozialhilfeträgers im Basistarif versichert und so nicht schutzlos gestellt seien“ (andere Auffassung: OLG Jena und LG Gera).

Ganz entscheidend ist aber: der Notlagentarif soll nach der gesetzlichen Regelung im Versicherungsvertragsgesetz unabhängig von den Ursachen des Beitragsrückstandes gelten, so die Richter des OLG Hamm. Dieser Auffassung ist zuzustimmen.

Darüber hinaus stellt das OLG Hamm zutreffend fest: „Wäre die Aufrechnung mit Leistungsansprüchen aus dem Notlagentarif zulässig, so würden bis zum Ausgleich sämtlicher Beitragsrückstände, …, faktisch keine Leistungen aus dem Notlagentarif gewährt und der Versicherungsschutz entgegen der gesetzgeberischen Anordnung aufgehoben.“ Praktisch würde der Notlagentarif dann ins Leere laufen. Das ist gesetzgeberisch aber nicht gewollt.

Die im Notlagentarif versicherten Leistungen können zwar auch zahlungsunwillige Versicherte (Beitragsschuldner) in Anspruch nehmen und partizipieren somit an diesen. Dennoch führt dies nicht zur Zulässigkeit der Aufrechnung, wie die Richter feststellten.

Der BdV stimmt der Auffassung des OLG Hamm ausdrücklich zu. Die ausführlichen Argumente des BdV für ein Aufrechnungsverbot finden Sie im Blogbeitrag vom 07.04.2016


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