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Gastbeiträge

Ein Stück Käse weniger

Ein Stück Käse weniger

 06.11.2018  Gastbeiträge  2 Kommentare  Dr. Peter Grieble

Endlich: vor wenigen Tagen hat das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg in einer Pressemeldung erklärt, dass die Tage der Schülerzusatzversicherung gezählt seien. Der diesem Produkt zugrundeliegende Gruppenversicherungsvertrag wird nach dieser Meldung des Ministeriums nicht mehr verlängert.

© Bruno / Pixabay

Verbraucher – insbesondere Schüler und Eltern – müssen also nur noch ein knappes Schuljahr mit dieser Schülerzusatzversicherung auskommen. Das ist eine gute und verbraucherorientierte Entscheidung.
Damit endet ein über Jahrzehnte dauerndes Prozedere: Immer nach den Sommerferien gleich zu Beginn des Schuljahres wurde vom Klassenlehrer ein Antragsformular ausgeteilt, das die Schüler von den Eltern unterschreiben lassen sollten und natürlich den Versicherungsbeitrag mitzubringen hatten für eine Schülerzusatzversicherung mit einer extremen Ausschnittsdeckung. Formal hatte das Land Baden-Württemberg mit den Versicherern WGV und BGV einen Gruppenversicherungsvertrag abgeschlossen auf Basis einer Verwaltungsvorschrift „Freiwillige Schülerzusatzversicherung“. Seit vielen Jahren hatte die Verbraucherzentrale auf die großen damit verbundenen Probleme hingewiesen: Vertrieb von privaten Versicherungen in öffentlichen Schulen, Repressalien gegen sich verweigernde Schüler oder Eltern, Lehrer als Versicherungsverkäufer ohne Fachkenntnisse, die durch die Schülerzusatzversicherung erhöhte Gefahr, dass sich Familien gut versichert wähnen, ohne es zu sein.

Zu Recht ein Versicherungskäse

Die Schülerzusatzversicherung wurde zu Recht vom BdV als Versicherungskäse ausgezeichnet. Wobei die Frage offen bleiben kann, ob es sich dabei um einen Käse mit vielen Löchern handelt oder um viele große Löcher mit ein paar Käsekrümelchen herum.
Die Abschaffung der Schülerzusatzversicherung bedeutet für die Absicherungssituation von Schülern keine Verschlechterung. Der von den Verbrauchern jeweils gewünschte Versicherungsschutz kann durch eigene private Versicherungsverträge problemlos und weit umfassender abgesichert werden, da bedarf es keines Vertriebs einer Versicherung in der öffentlichen Schule. Im Gegenteil: Unqualifizierter Vertrieb und sehr löchriger Versicherungsschutz führen eher dazu, dass sich Familien gut versichert fühlen, es objektiv aber nicht sind.

Keine wertvolle Zeit mit dem Verkauf von Versicherungen verplempern

Auch für Schulen wird die neue Situation vorteilhaft: in einer Zeit großen Lehrermangels mit vielen ausfallenden Schulstunden wird nicht wie bisher wertvolle Zeit mit dem Verkauf von Versicherungen verplempert, sondern kann pädagogisch genutzt werden. Wenn es für die Schule wichtig ist, dass Schüler bei bestimmten Aktivitäten versichert sind – zum Beispiel beim Schulpraktikum – dann gibt es dafür bessere Lösungen, die nicht Schüler und Eltern in vielfacher Hinsicht belasten. Dabei wird zu beachten sein, dass wenn von staatlicher Seite über die Schulpflicht und verpflichtend zu absolvierende Schulpraktika Schülern Risiken zugemutet werden, kaum den Eltern zusätzlich noch vorgeschrieben werden kann, sich dagegen versichern zu müssen. Dies würde eine „Lex Eltern“ bedeuten - was so solange nicht hinnehmbar ist, wie es keinen verpflichtenden Abschluss einer privaten Haftpflichtversicherung für alle Bürger gibt.


Kommentare
Kommentar von EFFKAA  am  19.11.2019 00:03
Sehr geehrter Herr Dr. Grieble,
vielen Dank für Ihre schnelle Antwort. Ich gehe davon aus, dass insbesondere die Umstellung des von BdV und auch Verbraucherzentrale stark kritisierten "Vertribesmodells" dazu geführt hat, dass die Verbraucherzentrale mittlerweile zu einer anderen Einschätzung als der BdV kommt.
Noch eine letzte Frage zum Thema "Bedarfsüberlegung", die sich nur schwer beantworten lässt, wenn man irgendwie kaum erkennen kann, in welchen Fällen die Schülerzusatzversicherung tatsächlich zum Einsatz kommt. Gehe ich recht in der Annahme, dass die Anzahl dieser Fälle sehr klein wird, wenn die Schüler bereits über eine private Haftpflichtversicherung ihrer Eltern versichert sind? Können Sie dazu eine Aussage treffen oder das ein oder andere Beispiel für eine solchen Fall nennen?
Vielen Dank und viele Grüße
Antwort von  am  20.11.2019 09:22

Sehr geehrte/r Frau/Herr EFFKAA,

wenn eine bedarfsgerechte private Haftpflichtversicherung vorhanden ist, brauchen Eltern/Schüler überhaupt keine zusätzliche Versicherung der Kommunen/Schulen; denn es gibt dann kein Risiko, das diesbezüglich zusätzlich versichert wäre. Deshalb sollte der Fokus auf der bedarfsgerechten eigenen privaten Haftpflichtversicherung liegen. Keinesfalls sollte eine kommunale Versicherung dazu verleiten, sich dadurch umfassend für alle Risiken des täglichen Lebens abgesichert zu fühlen. Daher ist es wichtig, dass über den Umfang von ggf. abgeschlossenen Versicherungen von Schulseite detailliert informiert wird. 

Viele Grüße

Peter Grieble

Kommentar von EFFKAA  am  17.11.2019 17:17
Sehr geehrter Herr Dr. Grieble,
die Schülerzusatzversicherung wurde ja mittlerweile in etwas veränderter Form wieder an den Markt gebracht. Bei uns an der Schule wird aktuell diskutiert, ob es sinnvoll ist, dass die Schule den einen Euro pro Schüler investiert oder nicht.
Während der BdV auch die neue Version der Versicherung weiter kritisiert, lobt die Verbraucherzentrale BW – zumindest laut einem Bericht der „Badische Neueste Nachrichten“ vom 24.7.2019 (siehe auch https://bnn.de/lokales/karlsruhe/die-renaissance-der-schuelerzusatzversicherung) - das neue Prozedere. Können Sie als Vertreter der Verbraucherzentrale kurz erläutern, warum die Einschätzungen von BdV und Verbraucherzentrale bei der neuen Versicherung doch deutlich voneinander abweichen?
In dem Bericht der BNN kommt auch Herr Edgar Bohn von der BGV zu Wort. Laut Herrn Bohn handelt es sich bei dieser Versicherung um ein Nullsummenspiel. Danach habe man – so der Bericht der BNN - „beim alten Modell habe – inklusive möglicher Zusatzdeckungen wie bei Fahrraddiebstahl – zwischen 700 000 und 800 000 Euro pro Jahr eingenommen“. Wenn man davon ausgeht, dass die Versicherung auch ein paar Euro verdient hat, kann die Versicherung eigentlich nur eher selten und in eher unkritischen Fällen zum Einsatz gekommen sein. Liegen Ihnen von Seiten der Schulen oder von Seiten der Versicherung genauere Informationen über die tatsächlichen Versicherungsfälle vor?
Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.
Antwort von  am  18.11.2019 15:01

Sehr geehrte/r Frau/Herr EFFKAA,

vielen Dank für Ihre Reaktion. Der seit diesem Schuljahr ganz neue Ansatz findet tatsächlich unsere grundsätzliche Zustimmung.

Die bisherige Schülerzusatzversicherung wurde in den Schulen unter Ausnutzung von Lehrern als Vertriebspersonal regelmäßig ohne fachliche Kenntnis verkauft, dabei Schüler und Eltern unter teils dramatischen Druck gesetzt und zur Finanzierung hergezogen. Auf dieser Grundlage konnten für Verbraucher gefährliche Deckungslücken entstehen, wenn durch diesen staatlichen Rahmen die extreme Ausschnittsdeckung der Versicherung verschleiert worden war.

Wenn nun neu Kommunen vorrangig im Interesse der Schulen (oder eine Schule für sich selbst) eine Versicherung mit welchem Namen und von welchem Anbieter auch immer abschließen und finanzieren wollen, mögen sie dies tun. Wir empfehlen, dass dabei die jeweiligen Bedarfsüberlegungen im Zentrum der Entscheidungsfindung stehen, Wahrscheinlichkeitsabwägungen sind dafür regelmäßig nicht gut geeignet.

Wichtig ist uns am neuen Rahmen, dass kein Vertrieb in den Schulen stattfindet, Eltern und Schüler zu nichts gezwungen werden und, falls Schulen auf das Bestehen einer neuen Absicherung aufmerksam machen, hierzu aussagekräftiges verbrauchergerechtes Informationsmaterial mit deutlicher Hervorhebung der Grenzen des Angebotes Schülern und Eltern einfach zugänglich gemacht wird.

Viele Grüße

Peter Grieble

 

 

 


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