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Versicherungen verstehen

Die Schande der anderen

Die Schande der anderen

 05.11.2020  Versicherungen verstehen  0 Kommentare  Britta Langenberg

Seit dem Milliardenskandal um Wirecard stehen die Finanzaufseher der BaFin dort, wo sie sich am unwohlsten fühlen: im Rampenlicht. Und jeder fragt: Wie konnte das passieren? Eine Außenansicht.

© BdV

Um Deutschlands Finanzaufsicht muss es schlecht bestellt sein - jedenfalls, wenn man ihren Einfluss an den Äußerungen des Chefaufsehers Felix Hufeld zum Wirecard-Skandal misst.

Ganz am Anfang klang in Hufelds Worten noch ein Anflug von Demut heraus: Als im Juni herauskam, dass es beim Dax-Konzern Wirecard riesige Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro gab, sprach BaFin-Chef Hufeld von einer „Schande“ – und räumte freimütig ein, auch die BaFin sei „nicht effektiv genug gewesen“. Danach war dann aber Schluss mit der Selbstkritik.

Nur ein paar Tage später schwenkte Hufeld im Finanzausschuss entschlossen auf die Verteidigungslinie ein, die er bis heute hält: Die Aufsicht habe in dem Fall wenig unternehmen können. Beaufsichtigt habe man ja nur die kleine Wirecard Bank, nicht aber die große Wirecard AG. Den Konzern habe man als Technologie-Unternehmen eingestuft, und dafür sei man nun mal nicht zuständig. So wurde Wirecard auf einmal zur Schande der anderen.

Nicht zuständig, nicht geregelt, nicht zulässig – das Antwortmuster der Aufseher ist altbekannt. Im Fall Wirecard entstand bisweilen aber das Bild einer Behörde, die sich offenkundig so fest an ihre Denkmuster und Formalien klammert, dass sie nahezu handlungsunfähig wirkt. Es ist das Bild einer Selbstfesselung.

Viele Hinweise, wenig Taten

Dabei gab es schon jahrelang Hinweise, dass bei der Wirecard AG etwas nicht stimmen kann. All die Zeitungsberichte und Hinweise von Whistleblowern mündeten aber nicht darin, dass die Aufsicht sich die Akte einmal gründlich vornahm. Sie guckte weg.

Besonders augenfällig war das im Fall der Deutschen Prüfstelle für das Rechnungslegung, die Anfang 2019 von der BaFin beauftragt wurde, die Bilanzen des internationalen Konzerns zu prüfen. Nur hielten die Aufseher offenbar fast anderthalb Jahre bis zur Pleite nicht wirklich nach, wie der einsame – weil einzige (sic!) – Prüfer denn vorankam. Auftrag erteilt, Fall erledigt.

Es ist nicht das erste Mal. Wirecard ist nur der letzte bekannte Fall einer langen Reihe von Finanz- und Anlageskandalen, von denen die deutsche Aufsicht im Vorfeld nichts mitbekam. Zigtausende Anleger wurden im Laufe der Jahre geschädigt – mal fehlten am Ende dann Milliarden in einer Dax-Bilanz, mal nahezu zwei Tonnen Gold, mal hunderttausende Schiffscontainer.

Mit Humor lässt sich so viel Elend besser ertragen, muss sich der grüne Europa-Abgeordnete Sven Giegold gedacht haben. Er machte aus der Tatenlosigkeit der BaFin kurzerhand ein Gewinnspiel – und sammelte in den sozialen Medien Hinweise auf Finanzskandale, die die deutsche Aufsichtsbehörde NICHT aufdeckte. Insgesamt kamen 71 Fälle seit dem Jahr 2007 zusammen, allesamt mit einem Schaden ab 1 Million Euro aufwärts.

Insofern kann der Fall Wirecard niemanden wirklich überraschen, er ist nur ein weiteres Symptom für einen Fehler im System. Die BaFin muss – davon ist die Bürgerbewegung Finanzwende überzeugt – endlich reformiert werden. Und zwar nicht irgendwie oder ein bisschen, sondern fundamental. Die deutsche Aufsichtsbehörde braucht einen Neustart.

Die BaFin muss endlich Rechenschaft ablegen

Um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, bedarf es mehr öffentlicher Kontrolle. Zu oft verschanzt sich die Behörde bislang hinter Formalien oder Geheimhaltungsvorschriften oder ihrem Dienstherrn, dem Finanzministerium. Das Nachsehen haben oft die Verbraucher.

Ein schönes Beispiel für die mitunter versessene Diskretion der Behörde liegt schon länger zurück: So weigerten sich die Versicherungsaufseher damals die genaue Zahl der Verbraucherbeschwerden zu nennen, die auf einzelne Unternehmen entfallen – obwohl diese Rückschlüsse auf einen fairen Umgang mit Kunden zulassen. Erst nach einem verlorenen Gerichtsprozess ließ sich die BaFin zur Veröffentlichung der Daten bewegen.

Andere Aufsichtsbehörden wie die britische FCA sind da weitaus agiler und näher dran am Verbraucher: Sie rücken zu verdeckten Testkäufen aus und benennen namentlich Unternehmen, die sich nicht an die Spielregeln halten – und wer als Bürger unzufrieden mit der Arbeit der FCA ist, kann sich bei einer unabhängigen Stelle über diese beschweren. In Deutschland: alles Fehlanzeige.

So geht es nicht weiter. Um die BaFin aufzurütteln, sollte sie jährlich vor einer unabhängigen Kontrollinstanz wie dem Bundesrechnungshof Rechenschaft ablegen müssen. Immerhin: Das Finanzministerium will nun eine Strukturreform der Aufsichtsbehörde anschieben – und hört sich auch die Vorschläge von Finanzwende und anderen Verbraucherschützern an.

Nötig ist es, denn auch beim Verbraucherschutz liegt noch vieles im Argen. Nach Ansicht vieler Kritiker mangelt es der BaFin an Tatkraft. Ein genervter Verbraucheranwalt fasste seine Eindrücke einmal so zusammen: Die Finanzaufsicht sei zu oft „schuldig durch Nichtstun“.

Die Zeche zahlen häufig Verbraucherinnen. So erfahren Versicherte oft nicht einmal, wenn ihr Anbieter Mist gebaut und vor Gericht verloren hat. Denn die BaFin verpflichtet Gesellschaften in aller Regel nicht, betroffene Kunden über neue Rechtsprechung und mögliche Rückforderungsansprüche aufzuklären. Wer zwischen seinem Wocheneinkauf, der Familie und dem alltäglichen Stress im Job nichts davon in der Zeitung liest, hat verloren.

Auch hausintern genießt der Verbraucherschutz – als gesetzlicher Auftrag seit 2015 fest verankert - bei der BaFin wohl nicht allzu großes Renommee. Umso wichtiger wäre es, ihm endlich eine stärkere Stellung zu verschaffen: Das ginge etwa mit einer eigenen Exekutivdirektion und zusätzlichen Stellen.

Für die Kunden kommt es jedoch darauf an, dass die Aufsicht bei Missständen auch tatsächlich eingreift – zum Beispiel bei überteuerten Restschuldversicherungen. Dort stellte die BaFin unlängst zum zweiten Mal in einer Marktuntersuchung fest, dass die Provisionen für Vermittler „teilweise außerordentlich hoch“ liegen und mehr als 50 Prozent des Beitrags ausmachen. Sie tut aber seit Jahren nichts. Motto: Nur gucken, nicht anfassen.

Es ist Zeit für eine neue Aufsichtskultur

Aus Verbrauchersicht ist die Untätigkeit der Aufsicht unerklärlich – erst recht, wenn sie selber Defizite aufzeigt. So ermittelte die BaFin in einer begleitenden Verbraucherbefragung, 55 Prozent der Kreditkunden hätten im Verkaufsgespräch den Eindruck gewonnen, sie würden den gewünschten Ratenkredit gar nicht ohne zusätzliche Restschuldpolice bekommen.

Anstatt den Anbietern auf die Pelle zu rücken, verbreitet die Aufsichtsbehörde lieber wohlmeinende Tipps für Verbraucher: „Wenn sich Ihnen nicht erschließt, wie hoch die Kreditkosten mit und ohne Restschuldversicherung sind, fragen Sie nach einer Gegenüberstellung.“ Man stelle sich mal die Situation vor: Sie sitzen in der Bankfiliale, sie brauchen dringend Kredit und der Banker legt Ihnen eine Restschuldversicherung nahe… Viele werden da nicht mehr nachhaken.

Es wird Zeit für einen Kulturwandel bei der BaFin. Ihre Kenntnisse müssen auch in Handeln münden. Dazu muss die Aufsicht agiler werden – und ihre Eingriffsrechte aktiv nutzen. Solange sie den Kuschelkurs mit Anbietern nicht beendet und Fehlleistungen im Markt nicht benennt, kann es Versicherern wie Banken allzu oft piepegal sein, was die Aufseher wissen oder denken.

Die alten Spielregeln haben sich nicht bewährt. Spätestens seit dem Wirecard-Desaster ist die BaFin uns allen rechenschaftspflichtig.

 

 


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