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Gastbeiträge

Kauft nicht bei uns

Kauft nicht bei uns

 14.12.2015  Gastbeiträge  0 Kommentare  Holger Balodis

Was ist bloß in die Verfechter der sogenannten kapitalgedeckten Altersvorsorge gefahren? Erst steigen einige Versicherer aus der Riester-Rente aus. Dann warnt Allianz-Chef Faulhaber vor den eigenen klassischen Rentenprodukten („nicht mehr sinnvoll“). Und nun rät der profilierteste Lobbyist der Betriebsrente, Klaus Stiefermann, Geringverdienern von der so genannten Gehaltsumwandlung ab - wie ein Koch, der vor dem Verzehr des eigenen Essens warnt. Das ist mit Verlaub eine Sensation.

© teetasse / Pixabay

Diese Sensation passierte vor rund 200 geladenen Gästen auf einem Festakt zum 125-jährigen Bestehen der Gesetzlichen Rentenversicherung Baden-Württemberg in Mannheim. Zur Erinnerung: Klaus Stiefermann ist seit 16 Jahren Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) und die Gehaltsumwandlung ist seit vielen Jahren der dominierende Finanzierungsweg in der Betriebsrente. Millionen von Arbeitnehmern wurde immer wieder eingehämmert, wie lukrativ die Umwandlung von Bruttoeinkommen in eine spätere Betriebsrente sei. Das spare heute Steuern und Sozialabgaben und später gebe es eine tolle Rente. Quasi finanziert von Staat und Sozialkassen – ein regelrechtes finanzielles „Perpetuum mobile“.

Vom Perpetuum mobile....

Beklagt wurde von Versicherern und Betriebsrentenlobbyisten lediglich, dass das leider viel zu wenige machten. Insbesondere die Geringverdiener hielten sich auffällig zurück. Offenbar aus sehr gutem Grund. „Wer wenig verdient, der ist gut beraten, wenn er nicht umwandelt. Es lohnt sich schlicht nicht“, so sinngemäß jetzt die erstaunliche Aussage des Betriebsrentenfunktionärs Stiefermann in Mannheim. Viele Verbraucherschützer verkünden das übrigens schon lange: Betriebsrente per Gehaltsumwandlung – meist fließt das Geld in eine sogenannte Direktversicherung - lohnt allenfalls, wenn der Arbeitgeber sich massiv an den Einzahlungen beteiligt. Schießt der Arbeitgeber aber nichts hinzu, so gibt es in der Praxis nur wenige Konstellationen, in denen sich diese Form der Betriebsrente für den Arbeitnehmer wirklich rechnet. Beispielsweise für Spitzenverdiener, die privat krankenversichert sind. Der Rest legt drauf. Die Gründe sind klar: Die spätere Rente ist voll steuerpflichtig, es werden die vollen Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträge fällig (also auch der Arbeitgeberbeitrag!). Und was oft vergessen wird: Die gesetzliche Rente fällt deutlich niedriger aus, dank der trickreichen Senkung des Bruttoeinkommens als Folge der Gehaltsumwandlung.

...zum Sturm der Entrüstung

Vielen bleibt deshalb später effektiv deutlich weniger als die Hälfte von ihrer Rente. Bei Millionen von Betriebsrentnern sorgt das mittlerweile für einen Sturm der Entrüstung. Sie fühlen sich von Versicherungen und der Politik betrogen und haben schon einen Verband der Direktversicherungsgeschädigten gegründet. Mit Recht, denn bei Vertragsschluss hat man vermutlich nur in wenigen Fällen auf die Risiken und Nebenwirkungen der Gehaltsumwandlung hingewiesen.
Das scheint sich allmählich zu ändern, wie die Aussage des Betriebsrentenfunktionärs Stiefermann zeigt. Zumindest für Kleinverdiener räumt er ein, dass sich die Gehaltsumwandlung in der derzeit praktizierten Form nicht lohnt. Er folgt damit Dr. Markus Faulhaber, der als Chef von Allianz Leben vor einigen Wochen seinen Kunden von der klassischen Lebens- und Rentenversicherung abriet.

Doch wie ist dieser plötzliche Anfall von Ehrlichkeit zu erklären? Was man wohl feststellen darf: Sowohl Stiefermann als auch Faulhaber geben nur zu, was sich überhaupt nicht mehr verheimlichen lässt. Und der „Schaden“ ist für beide überschaubar. Kleinverdiener können es sich ohnehin kaum leisten, in eine Direktversicherung einzuzahlen. Sie sind ohnehin nicht die Zielgruppe der Betriebsrenten-Anbieter. Und Allianz-Chef Faulhaber verfolgte mit seinem Eingeständnis nur das Eigeninteresse seines Hauses. Allianz Leben gibt die klassische Lebens- und Rentenversicherung bewusst verloren, weil es ohnehin eine neue Produktfamilie favorisiert. Mit Produkten wie „Perspektive“ oder „IndexSelect“ glaubt man deutlich bessere Geschäfte machen zu können. Und muss den Kunden noch weniger garantieren als vorher. Was auf den ersten Blick also wie ein Eigentor oder wie die neue Ehrlichkeit aussieht, erweist sich bei näherem Betrachten als geschickter Schachzug.


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