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Gastbeiträge

Warum Verbraucherschutz immer wichtiger wird

Warum Verbraucherschutz immer wichtiger wird

 12.05.2015  Gastbeiträge  0 Kommentare  Edda Castelló

Ja, wieso eigentlich? Wir sind doch mündige Bürger. Jeder Verbraucher kann sich informieren – in Wirtschaftsmagazinen, bei der Stiftung Warentest, bei den Verbraucherzentralen, beim Bund der Versicherten, in unzähligen Foren. Und wenn mal etwas schief geht, haben wir Schlichtungsverfahren oder Ombudsleute.

Schön wär’s. Natürlich ist der Verbraucher nicht durchweg unmündig und hat zuweilen Macht mit seinen Entscheidungen an der Ladenkasse oder im Internet. Manchmal haben Verbraucher durch Boykottentscheidungen sogar große Firmen in die Knie gezwungen.

© Andrew Martin / Pixabay

Der mündige Verbraucher ist eine Fiktion

Doch der mündige Verbraucher ist eine Fiktion. Es gibt ihn nur in der Ideologie Neoliberaler. Und natürlich in der Vorstellung der Anbieter. Wenn sie die Verbraucher kräftig über den Tisch gezogen haben, heißt es: „Selber schuld. Der Verbraucher ist doch mündig! Wir haben ihn nicht mit vorgehaltener Pistole gezwungen. Er/sie hat sich freiwillig für uns/unser Produkt entscheiden.“

Dabei geht eine Menge schief. Banken tragen immer noch zur Überschuldung von Verbrauchern bei. Fast jeder Haushalt ist falsch oder zu teuer versichert – das Ergebnis jahrzehntelanger Arbeit von hunderttausenden Vertretern. Die Finanzindustrie verkauft den Kunden überwiegend schlechte Vorsorgeprodukte. Mit oft verheerenden Verlusten für die Verbraucher und schlimmen Folgen. Denn das Geld, was die Anbieter jetzt einheimsen, fehlt später zum Beispiel für die Ausbildung der Kinder, für die Altersvorsorge, für guten Versicherungsschutz.

Das Verbraucherleben ist insgesamt komplizierter geworden

Anbieter sind den Verbrauchern – und erst recht „dem“ Verbraucher – strukturell überlegen. Das gilt für „Produkte“ des täglichen Bedarfs, bei denen der Hersteller und Verkäufer das Produktdesign, die Werbung und den Vertrieb bestimmen. Das gilt vor allem aber bei den abstrakten Finanzprodukten, die der Verbraucher nicht anfassen und mit seinen Sinnen prüfen und verwerfen kann, sondern die durch „Kleingedrucktes“ beschrieben werden: Konsumenten- und Immobilienkredite, Geldanlagen und Versicherungen.

Und das Verbraucherleben ist insgesamt komplizierter geworden. Viele Bereiche des privaten Lebens sind privatisiert: Die Telekommunikation, der Energiemarkt, die Altersvorsorge. Werbung und Vertrieb zielen auf Täuschung der Verbraucher ab. Die Verschleierung von Preisen durch undurchsichtige Kombi-Modelle, falsche Zins-, Rendite- und Kostenangaben, Vertrieb von unsinnigen Zusatzprodukten oder intransparente und falsche Abrechnungen bei gekündigten Verträgen ist die Regel.

Fallen im Kleingedruckten

Ein Konsumenten- oder Immobilienkreditvertrag enthält im Kleingedruckten Fallen, die auch ein schlauer Verbraucher nicht identifizieren kann – einmal abgesehen davon, dass bei solchen Massengeschäften keine Bank oder Sparkasse sich auf „Verhandlungen“ oder Streichungen von unklaren Klauseln einlassen würde. Verträge über Geldanlagen sind nicht selten Konvolute von dutzenden Seiten, gespickt mit Formeln und betriebswirtschaftlichen Fachbegriffen, die auch für Ärzte, Ingenieure oder Lehrer unverständlich bleiben. Ein durchschnittlicher Lebens- oder Renten-Versicherungsvertrag besteht aus rund 80 Seiten.

Weder Widerrufsrechte noch Informationspflichten, die ohnehin nach Kräften unterlaufen werden, schützen den Verbraucher. Wir schützen den Verbraucher auch nicht, indem wir ständig an ihn appellieren, sich zu informieren und immer auf der Hut zu sein, alle Fallgruben und Irreführungen zu erkennen und auf Augenhöhe mit Bank oder Versicherer jeden Vertragspunkt zu verhandeln. Wir schützen Verbraucher besser und effektiver, wenn wir auf die Anbieter einwirken und ihnen in die Suppe spucken, damit sie ihre Fallen entschärfen und ihre Fallgruben zuschütten. „Wir“ – das sind die Verbraucherverbände, die den Verbrauchern gut zuhören, so die Probleme auf dem Markt identifizieren und dann gegen die Anbieter vorgehen, die die Probleme verursachen.

Drei Wege des Verbraucherschutzes

Das geschieht auf drei Wegen:

Erstens nehmen wir Einfluss auf die Politik, damit wir bessere Gesetze bekommen. Marktschädliches Verhalten zu Lasten der Verbraucher muss bestraft und darf nicht belohnt werden. Da sind oft dicke Bretter zu bohren und Geduld gefragt. Schließlich ist den Einflüsterungen einer starken Lobby gegenüber der Politik und Brüssel zu begegnen.

Zweitens äußern wir uns laut und gern auch mal aggressiv in den Medien. Missstände aufdecken, anprangern und der Öffentlichkeit präsentieren – damit nehmen wir Einfluss auf Politik, Justiz, Wissenschaft und sind der stete Tropfen, der im besten Fall im nächsten Gesetzgebungsverfahren, bei der nächsten Gerichtsentscheidung oder beim nächsten wissenschaftlichen Aufsatz Gehör findet und die Verbraucherwirklichkeit verbessert.

Drittens nutzen wir unser Klagerecht gegen die Finanzbranche. Gelingt es uns, mit gerichtlicher Hilfe eine benachteiligende Klausel aus Verträgen zu schießen, verhindern wir, dass Anbieter zu Unrecht von den Verbrauchern Milliardenbeträge einkassieren oder sorgen dafür, dass Geld an die Verbraucher zurückfließt.
Dieser moderne Verbraucherschutz – offensiv und den Anbieter im Blick – ist nötiger denn je.


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