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Kleinleins Klartext

Grundsätzlich...

Grundsätzlich...

 04.10.2018  Kleinleins Klartext  2 Kommentare  Axel Kleinlein

… mag ich ja Juristen. Es handelt sich zwar um eine Berufsgruppe, die zuweilen sehr seltsame Ansichten hat - man denke nur an die immer wieder verblüffende Unterscheidung zwischen Eigentum und Besitz. Dennoch ist die Juristerei hilfreich, wenn es darum geht, verzwickte Sachverhalte aufzulösen. 

Das sind beides Eigenschaften, die ich als Mathematiker auch meinem Berufsstand zuschreiben würde. Seltsame Ansichten haben wir auch und manchmal können auch wir helfen, mit unseren analytischen Methoden knifflige Aufgaben besser zu lösen.

Aber es gibt Bereiche, da verstehe ich diese Rechtsgelehrten nicht

Aber es gibt Bereiche, da verstehe ich diese Rechtsgelehrten nicht. Und das hat dann meistens mit deren seltsamer Sprache zu tun. Leider ist man aber als Versicherungsmathematiker immer wieder mit juristischen Texten konfrontiert und kommt nicht umhin, sich mit dieser Sprache auseinanderzusetzen.

Das geht los mit den Versicherungsbedingungen, die die Spielregeln bei einem Versicherungstarif beschreiben. Und weil die Versicherungsmathematikerinnen und Versicherungsmathematiker sich an diese Spielregeln halten sollen, kommen die nicht drum rum, sich mit diesen juristischen Formulierungen herumzuschlagen.

Es geht dann weiter mit den Gesetzen und Verordnungen und dabei ganz besonders mit dem Versicherungsaufsichtsgesetz, dem VAG. Auch das ist natürlich streng in juristischer Sprache verfasst, obgleich fast nur Mathematikerinnen und Mathematiker dieses VAG anwenden. Und bei diesen rechtlichen Normen beginnt es dann, dass das, was der Jurist beschreibt, nicht immer ganz genau das auf den Punkt bringt, was die Mathematik eigentlich meint.

Formeln versus Alltagssprache

Das Problem ist, dass sich zum Beispiel bestimmte Formeln schon nicht so einfach in Alltagssprache übersetzen lassen. Deswegen gibt es ja gerade die Formelschreibweisen. Zum Beispiel ist es recht knifflig, so etwas wie die Zillmerung im Rahmen der prospektiven Deckungsrückstellungsberechnung korrekt in Prosa zu erläutern. Manche würden sagen, dass das sogar gar nicht so richtig möglich sei.

Nehmen wir an, es wäre trotzdem machbar, all diese Formeldinge in Alltagsprache zu übersetzen. Dann ist aber erst die halbe Strecke auf dem Weg zum Hirn der Juristinnen und Juristen geschafft. Denn so, wie wir uns im Alltag austauschen, muss das dann des Öfteren auch noch in die Sprache der Rechtswissenschaft übersetzt werden. Der Weg von der formalmäßig sauber formulierten aktuariellen Sichtweise bedarf also zweier Übersetzungen, bis sie in der Welt der Paragrafen gelandet ist.

Sie denken jetzt, dass derartige Übersetzungsprobleme nur bei diesen sehr komplizierten Sachverhalten auftreten? Dann gehen Sie fehl! Denn schon bei vermeintlich ganz und gar unproblematisch daherkommenden Worten kann es sehr schwer werden. Und da bringe ich gerne dieses „grundsätzlich“ als schönes Beispiel.

Für Mathematikerinnen und Mathematiker bedeutet „grundsätzlich“ eigentlich „immer“ - also „ohne Ausnahme“. In der Umgangssprache wird das zuweilen etwas laxer gesehen. Deswegen bietet es sich an, schon bei der Übersetzung des mathematischen „grundsätzlich“ in die Alltagssprache genau darauf zu achten, was gemeint ist.

Grundsätzlich babylonische Verwirrung

Aber die Alltagssprache ist für die Juristinnen und Juristen auch hier missverständlich. Denn ärgerlicherweise beschreibt für die Rechtsgelehrten das „grundsätzlich“ etwas, bei dem man eine Regel erwartet, die dann aber auch mal verletzt wird. Anders ausgedrückt: „Grundsätzlich“ bedeutet im Kontext der Paragrafen eben „nicht immer“ - also „mit Ausnahme“.

Und jetzt können alle erkennen, dass es sehr schwierig wird, wenn sich zum Beispiel ein Mathematiker und ein Jurist unterhalten wollen, das Wörtchen „grundsätzlich“ fällt und dann die babylonische Verwirrung vorprogrammiert ist. Der eine meint „immer“, der andere womöglich nur „manchmal“. Eine Lösung ist es, wenn sich beide schon im Vorfeld dieser Sprachprobleme bewusst sind. Oder aber es gibt eine Person, die zwischen beiden steht und übersetzen kann.

Warum ich mir gerade darüber Gedanken mache? Bald habe ich im Vorstand des BdV einen neuen Kollegen, und der ist nun mal Jurist. Vielleicht hilft ja diese Kolumne, ihn für das Sprachproblem zu sensibilisieren. Aber glücklicherweise sind wir ja dann zu dritt und dann kann der dritte Kollege vielleicht übersetzen.

Ungeachtet möglicher Sprachprobleme freue ich mich aber grundsätzlich sehr über die Verstärkung im Vorstandsteam – und dieses „grundsätzlich“ meine ich hier im mathematischen Sinne!

 


Kommentare
Kommentar von Lootwig  am  11.11.2018 07:46
Die Unterscheidung zwischen Besitz und Eigentum ist, in die Mathematik übertragend, in etwa so verblüffend wie die Unterscheidung zwischen Plus und Minus.

Der gesamte Artikel unterstreicht deutlichst ein bekanntes Sprichwort: "Schuster bleib bei deinen Leisten."
Kommentar von Stephen Rehmke  am  04.10.2018 23:59
Lieber Axel Kleinlein,

was mir dazu spontan einfällt: Iudex non calculat. Um es ganz frei zu übersetzen: „Er war Jurist und mithin nur vom mäßigen mathematischen Verstand.“ Da aber selbst ‚Dichter die Natur nicht so frei auslegen können, wie Juristen die Wirklichkeit‘, sehen Juristen und Juristinnen in dem Manko bislang auch 'grundsätzlich' kein größeres Problem.

Ein Vorteil des erweiterten Vorstandskollegiums im BdV kann nun sein, dass der Jurist mithilfe des finanz- und versicherungsmathematischen Sachverstands seiner Kollegen trotz aller Sprachprobleme plötzlich die Wirklichkeit erkennt und in die Lage versetzt wird, sie etwa auch den Berufskolleginnen und -kollegen in der Jurisprudenz so zu übersetzen, dass diese sich 'grundsätzlich' nicht mehr so einfach in Juristenprosa flüchten können, wenn sie sachgerechte und faire Entscheidungen zur Wirklichkeit treffen sollen.

Davon profitieren dann 'grundsätzlich' alle in der Versicherungswelt – abgesehen natürlich von ein paar Ausnahmen…

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