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Das Landgericht Gera hat ein irritierendes Urteil zum Nachteil von Privatversicherten gefällt (Az.: 4 O 861/14), die im Notlagentarif versichert sind. Es ist bisher nicht rechtskräftig.
Nach Auffassung des LG Gera soll ein privater Krankenversicherer auch gegenüber im Notlagentarif Versicherten berechtigt sein, mit seinen Beitragsforderungen gegen die Erstattungsansprüche des Versicherten aufzurechnen. Denn der Gesetzgeber habe bei der Einführung des brancheneinheitlichen Notlagentarifs kein Aufrechnungsverbot vorgesehen, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre.
Dieses Urteil ist verbraucherunfreundlich und läuft dem Gesetzeszweck völlig zuwider.
Sinn und Zweck der Leistungen im Notlagentarif ist der von der Beitragszahlung unabhängige Erhalt eines Mindestmaßes an Versorgung für den Versicherungsnehmer. Eine Verrechnung von Beitragsforderungen mit diesen „Notfallleistungen“ läuft diesem Ziel zuwider und führt im Ergebnis dazu, dass der Versicherungsnehmer diese Notfallleistungen faktisch selbst finanzieren muss. Dies kann nicht richtig sein. Das Aufrechnungsverbot muss für den Notlagentarif gelten, da dieser nach dem Willen und der Intention des Gesetzgebers einen Mindestschutz gewährleisten soll.
Eine Aufrechnung von Leistungsansprüchen mit Beitragsforderungen ist nach der Rechtsauffassung des BdV unzulässig, da die Regelungen zum Beitragsverzug in § 193 Abs. 6 – 9 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) abschließenden Charakter haben:
Zwar hat der Gesetzgeber kein Aufrechnungsverbot geregelt. Jedoch reduziert dieses Argument des LG Gera die Gesetzesanwendung zu sehr auf die Auslegung des Wortlauts und lässt die weiteren Auslegungsmethoden außer Acht. Entscheidend ist hier der Wille des Gesetzgebers, warum er den Notlagentarif eingeführt hat, in welchem systematischen Zusammenhang die Regelungen stehen sowie deren Sinn und Zweck.
Der Gesetzgeber macht in den § 193 Absatz 6 – 9 VVG deutlich, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer bei der Umstellung in den Notlagentarif über die Beitragsrückstände informieren muss. Hierbei sind die bis dahin geleisteten Zahlungen durch den Versicherungsnehmer in Abzug zu bringen. Dadurch wird klar ersichtlich, wie wichtig dem Gesetzgeber eine Information des Versicherungsnehmers über seinen Schuldenstand ist. Wäre eine Aufrechnung zulässig, so hätte der Gesetzgeber auch geregelt, dass der Versicherte gleichzeitig auch über mögliche Aufrechnungslagen zu informieren ist.
Weitere Gründe für die abschließende Regelung des Beitragsverzugs in § 193 Absatz 6 – 9 VVG sind:
Der Gesetzgeber greift hier ganz bewusst in das bestehende gegenseitige Vertragsverhältnis zwischen Krankenversicherer und Versicherungsnehmer ein, in dem er vorgibt, dass die Leistungen aus dem bisherigen Krankenversicherungstarif ruhen und eine automatische Umstellung in den Notlagentarif erfolgt, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.
Aus der Gesetzesbegründung geht eindeutig hervor, dass durch den Notlagentarif die Notfallversorgung der Beitragsschuldner gewährleistet wird. Hiermit gibt der Gesetzgeber genau vor, welche Rechtsfolgen mit dem Beitragszahlungsverzug verbunden sind. Die privatrechtliche Vollstreckung durch Aufrechnung mit Kostenerstattungsansprüchen für Heilbehandlung wird durch das Ruhen der Leistungen und die Umstellung in den Notlagentarif ersetzt.
Dabei macht der Gesetzgeber durch die Schaffung des Notlagentarifs deutlich: Ein privater Krankenversicherer wird auch während des Ruhens der Leistungen aus den bisherigen Tarifen, welches unmittelbar Folge des Zahlungsverzuges ist, nicht von seiner Leistungspflicht befreit, sondern er muss Notfallleistungen aus dem Notlagentarif erbringen; also die Erstattung von Kosten, die zur Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind.
Würde man eine solche Aufrechnungsmöglichkeit der Krankenversicherer aber zulassen, liefe die Anordnung des Gesetzgebers zur Übernahme der Kosten für Notfallmaßnahmen durch den Krankenversicherer vollkommen ins Leere und wäre wirkungslos, da die Krankenversicherung faktisch beendet werden würde.
Die Folge wäre, dass der Krankenversicherer jeden Erstattungsanspruch des im Notlagentarif Versicherten zur Aufrechnung mit seinen Beitragsforderungen verwenden würde, bis keine Beitragsrückstände des Versicherten mehr bestünden. Erst wenn alle Rückstände durch Aufrechnung ausgeglichen wären, erfolgt dann nach § 193 Abs. 9 VVG die Fortsetzung der Krankenversicherung in den ursprünglichen Tarifen. Würde man die VVG-Regelungen so verstehen, würde der im Notlagentarif Versicherte zu keinem Zeitpunkt eine Erstattung von Behandlungskosten bekommen.
Wäre dies wirklich zutreffend, dann hätte der Gesetzgeber den Notlagentarif gar nicht erst einführen brauchen. Denn es würde zu dem absurden Ergebnis führen und der Gesetzesintention vollkommen zuwiderlaufen, wenn alsbald nach Umstellung in den Notlagentarif die medizinisch notwendige Weiterbehandlung des Versicherungsnehmers gefährdet wäre. Denn der Versicherte müsste seine weiteren Behandlungskosten aus eigener Tasche zahlen. Hierzu dürfte er aber in der Regel nicht in der Lage sein, weil er ja gerade aufgrund mangelnder Möglichkeit der Zahlung seiner Beiträge in den Notlagentarif geraten ist.
Des Weiteren macht der Gesetzgeber durch den Ausschluss des Kündigungsrechts für den Fall des Verzugs mit der Beitragszahlung sowohl aus Sicht des systematischen Zusammenhangs als dem Sinn und Zweck der § 193 Abs. 6 – 9 VVG ganz deutlich, dass dieser eben nicht zu einer Beendigung der Leistungspflicht des Versicherers führen soll. Würde eine Aufrechnung zulässig sein, hätte dies nichts anderes als die faktische Beendigung des Vertrages zur Folge. Dies war aber eindeutig nicht das Ziel des Gesetzgebers.
Zum Teil wird eingewandt, dass der Zahlungsverzug nicht immer auf einer Notlage, sondern genauso gut auf einer vorsätzlichen Vertragsuntreue beruhen könne, die der Gesetzgeber gerade nicht schützen wolle. Hiermit soll der Eindruck vermittelt werden, dass die Nichtzahler weit überwiegend solche Menschen seien, die vorsätzlich den Beitrag nicht zahlen, obwohl sie dazu wirtschaftlich in der Lage wären. Für diese Behauptung fehlt jedoch jeglicher Nachweis. Vielmehr dürften in der Regel die Beiträge deshalb nicht gezahlt werden, weil gerade die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit fehlt. Ebenfalls nicht durchschlagend ist, dass bei wirtschaftlicher Not eine Leistungsberechtigung nach dem Sozialrecht eintrete und dadurch nach § 193 Abs. 6 VVG das Ruhen der ursprünglichen Krankenversicherung nicht eintrete oder ende.
Denn hier wird vollkommen außer Acht gelassen, dass nicht jede wirtschaftliche Notlage zwangsläufig in eine Leistungsberechtigung nach dem Sozialrecht mündet.
Der BdV wird den weiteren Fortgang dieses Gerichtsprozesses zum Notlagentarif, also zunächst des Berufungsverfahrens, genau beobachten und kritisch begleiten.