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Versicherungen verstehen

Zu kurz gedacht? Das schnelle Geschäft der Legal Techs mit der PKV-Beitragsrückforderung

Zu kurz gedacht? Das schnelle Geschäft der Legal Techs mit der PKV-Beitragsrückforderung

 07.12.2023  Versicherungen verstehen  0 Kommentare  Christine Krümmer

Legal Tech-Kanzleien haben herausgefunden, wie man die Rückforderungen von überhöhten PKV-Beiträgen zu einem lukrativen Geschäftsmodell macht. Eine Legal Tech-Kanzlei unterscheidet sich dadurch von klassischen Kanzleien, dass sie weitestgehend digital arbeitet. Dazu benutzt sie Produkte, welche die rechtliche Arbeit automatisieren oder erleichtern.

© Mahdis Mousavi / Unsplash

Die Vertriebsabteilung solcher Kanzleien überzeugt Verbraucher*innen davon, ihre überhöhten PKV-Beiträge durch eine Klage zurückzufordern. Die Rechtsschutzversicherung zahlt und selbst wenn die Klage abgewiesen wird, verliert keiner außer der Rechtsschutzversicherung natürlich. Oder doch nicht?

Das Geschäftsmodell beruht auf folgendem Urteil des Bundesgerichthofs (BGH)vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19: Beitragserhöhungen für die private Krankenversicherung (PKV) sind unwirksam, wenn die Begründung für eine Beitragserhöhung bestimmten inhaltlichen Anforderungen nicht genügt. Dazu hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Verbraucher*innen einen Anspruch auf die Rückzahlung von zu viel gezahlten Beiträgen haben.

Einige Anwaltskanzleien, insbesondere Legal Tech-Kanzleien, haben die Rückforderung von zu hohen Beiträgen für die private Krankenversicherung zu einem ihrer Standbeine gemacht. In diesem Beitrag geht es nicht um Legal Tech-Kanzleien generell, sondern es soll speziell um die Beitragsrückforderung bei privaten Krankenversicherungen gehen. Die mechanische Herangehensweise bei PKV-Mandaten soll aufgedeckt werden, um potenzielle Mandant*innen zu informieren. Mit diesen Hintergrundinformationen sollen sie entscheiden, ob diese Herangehensweise tatsächlich ihren Bedürfnissen entspricht.

Der Hauptanreiz ist nämlich die Rechtsschutzversicherung der Mandant*innen. Teilweise werden diese ohne Rechtsschutzversicherung gar nicht erst angenommen. Denn erst durch die Bezahlung der Rechtsschutzversicherungen wird die massenhafte Rückforderung von unwirksamen Beiträgen lukrativ.

Verbraucher*innen stehen nicht im Fokus

Im Vordergrund steht nicht die Korrektur der unwirksamen Beitragserhöhungen. Wichtiger ist es, den Legal Tech-Kanzleien Anwaltskosten zu produzieren, welche dann von der Rechtsschutzversicherung bezahlt werden.

Im Arbeitsalltag der Rechtsanwält*innen, die in der PKV-Abteilung eines Legal Techs arbeiten, steht die Erfüllung des täglichen Klagepensums ganz klar im Vordergrund. Von der Führungsetage wird unmissverständlich kommuniziert, dass hier der Fokus liegen muss, da das Erheben von Klagen gewinnbringend ist. Die weitere Betreuung der Klage, also insbesondere der Austausch von Argumenten mit der Gegenseite, rückt dadurch in den Hintergrund.

Auch die Kommunikation mit den Mandante*innen rutscht auf der Liste der Prioritäten in den Hintergrund, schließlich müssen Klagen erhoben werden. Letzteres geschieht fließbandartig.

Textbausteine erleichtern die Arbeit, bei einem Massenverfahren ist dies auch nachvollziehbar, da die Fälle sich ähneln. Aufgrund des hohen Arbeitsaufkommens wird dann allerdings versäumt, diese Bausteine abzustauben und an die Interessen der Mandant*innen anzupassen.

Verjährungsproblematik

Ein Beispiel hierfür ist die Verjährung. Unter anderem wird sich bei der Rückforderung darum gestritten, ob die überhöhten Beiträge innerhalb von drei Jahren, der regulären Frist oder innerhalb von zehn Jahren zurückgefordert werden können. Die Legal Techs halten an der zehnjährigen Frist fest. Mit dem Urteil vom 17.11.2021- IV ZR 113/20 hat der BGH eindeutig entschieden, dass die Verjährungsfrist von drei Jahren gilt. Ob es Konstellationen gibt, bei denen die zehnjährige Frist gilt, hat der BGH nicht eindeutig entschieden.

Es wird also ein Standpunkt vertreten, der unsicher ist. Ein Anwalt, der nach bestem Gewissen und sorgfältig handelt, wäre diesbezüglich transparenter oder würde von vornherein bei der dreijährigen Frist bleiben. Dies ist die reguläre Frist und würde aufgrund der bisherigen Rechtsprechung daher mit Sicherheit auch vom Gericht akzeptiert werden.

Vielleicht ist es verlockender, von einer zehnjährigen Verjährung auszugehen, da in zehn Jahren mehr Beitragserhöhungen vorgenommen wurden, wodurch sich der Streitwert erhöht, sodass höhere Anwaltskosten entstehen.

Fließbandarbeit

Nicht nur die Schriftsätze werden in Fließbandarbeit aufgeteilt. Außerdem wird mit der Konvention gebrochen, einem Anwalt eine Mandantin und eine Klage zuzuordnen. Stattdessen wird das Mandat in verschiedene Stationen aufgeteilt, die immer jeweils von einer anderen Person bearbeitet werden. Das beginnt mit dem Vertrieb, erstreckt sich bis zur Berechnung des Anspruchs – über die Erhebung der Klage – bis hin zur mündlichen Verhandlung vor dem Gericht.

Kein Mandant hat eine Ansprechperson, die einen kompletten Überblick über seine Klage hat. Dieser muss sich immer erst vor der Kommunikation verschafft werden. Dies mag effektiv sein, aber ob diese Vorgehensweise verbraucherfreundlich ist, ist zweifelhaft.

Ein weiteres Nebenprodukt ist, dass auch die gegnerischen Anwaltskanzleien zur fließbandartigen Arbeit übergehen und ebenfalls mit Textbausteinen arbeiten, sodass überwiegend Bausteine miteinander ausgetauscht werden – über die die Richter*innen, die sich mittlerweile nur noch in der Rolle der Sachbearbeiterinnen sehen, dann entscheiden.

Zum ersten Mal sind PKV-Fälle nun auch die häufigste Verfahrensart. Der Rechtspflege bietet das alles keinen Mehrwert, im Gegenteil: Sie wird durch die Flut von PKV-Klagen überschwemmt und von juristischer Arbeit kann nicht mehr die Rede sein.

Risiken und Konsequenzen

Doch müssen sich Verbraucher*innen daran stören? Am Ende des Tages bezahlt doch die Rechtsschutzversicherung die Rechnung und der maximale Verlust ist die Selbstbeteiligung. So lautet jedenfalls die Argumentation im Vertrieb, um neue Mandant*innen anzulocken.

Abgesehen davon, dass aufgrund der häufigen Erfolglosigkeit der Klagen, der Vertrag mit der Rechtsschutzversicherung unnötig belastet wird, sollte auch beachtet werden, dass bisher die Beitragserhöhungen formell angegriffen wurden, das heißt in der Regel aufgrund einer mangelhaften Begründung.

Die PKV hat die Möglichkeit, diese Begründung nachzuholen, was dazu führt, dass Beitragserhöhungen für die Zukunft wirksam werden (aber nicht rückwirkend). Dementsprechend sinken die Erfolgsaussichten einer Klage.

Inzwischen werden die Beitragserhöhungen auch materiell angegriffen, es wird überprüft, ob die Versicherungsleistungen nachweislich um mehr als zehn Prozent gestiegen sind, als ursprünglich kalkuliert. Insofern besteht also die Möglichkeit, dass die Kosten für das PKV-Unternehmen tatsächlich angestiegen sind, es aber versäumt, hat, die Erhöhung korrekt durchzuführen. Daher wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder zu einer Beitragserhöhung kommen, wobei das PKV-Unternehmen darauf achten wird, diese auch wirksam durchzuführen. Auf lange Sicht sind Beitragserhöhungen unvermeidbar.

Langfristig lohnt es sich für Verbraucher*innen daher meist nicht, die Beiträge einzuklagen.

Denkbar sind drei Konstellationen, in denen es sich lohnen könnte, die Beitragserhöhungen anzugreifen:

  1. Sinnvoll wäre es für Versicherungsnehmer*innen, die einen zeitnahen Wechsel des PKV-Unternehmen planen oder in die gesetzliche Versicherung wechseln.
  2. Ebenso lohnt es sich für Versicherungsnehmer*innen, die zeitnah in den brancheneinheitlichen Basistarif wechseln oder wegen Beitragsrückständen im Notlagentarif versichert werden.
  1. Versicherungsnehmer*innen, die nach der neuerlichen (dann höheren) Beitragsanpassung eine unterdurchschnittliche Restlebensdauer aufweisen.

Das Kostenrisiko hält sich für Verbraucher*innen mit Rechtsschutzversicherung in Grenzen, aber dennoch kann nicht von einer Verbraucherorientierung die Rede sein, allenfalls von einer Zweckgemeinschaft.

Empfehlung für Verbraucher*innen

Festzuhalten bleibt, dass sich die Klage mit Ausnahme der benannten drei Konstellationen in der Regel nicht lohnt. Durch die voranschreitende Verjährung sinken die Erfolgsaussichten der Klage immer weiter. Sollte die Klage doch erfolgreich sein, so können sie die Geldsumme nur kurzfristig genießen. Auf lange Sicht werden ihre PKV-Beiträge wieder erhöht werden und einen etwaigen finanziellen Vorteil zu Nichte machen sowie ggf. im Endeffekt sogar höher ausfallen.

Wer eine Beratung hinsichtlich der Beitragserhöhung seiner privaten Krankenversicherung wünscht, ist beim BdV genau richtig aufgehoben und kann sich als BdV-Mitglied gern an unser Beratungsteam unter der E-Mail-Adresse info@bdv-beratung.de wenden. Dieses nimmt dann eine erste fachliche Einschätzung vor, ob ein Vorgehen gegen die Beitragserhöhung des PKV-Unternehmens rechtlich möglich und wirtschaftlich sinnvoll wäre.

 


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